Max Fiedler

1859 - 1939

Max Fiedler war einer der führenden Dirigenten seiner Generation, zog es aber vor, seßhaft zu bleiben und nach Bindungen an Hamburg (auch als Konservatoriums-Direktor) und an die Berliner Philharmoniker über viele Jahre das Musikleben in Essen zu prägen, statt allzuviel herumzureisen. Das - nebst vielleicht der Tatsache, daß Fiedler vor allem im Konzert brillierte und kaum je Opern dirigierte - ist wohl der Hauptgrund, warum sein Name nicht jenen Stellenwert in der Erinnerung der Musikwelt gewann, den er angesichts beeindruckender interpretatorischer Leitungen verdient hätte.

Brahms' Anwalt

Die Zeitgenossen verbanden seinen Namen vor allem mit profunden Aufführungen der Symphonik von Johannes Brahms. Immer dirigierte gab Fiedler ganze Brahms-Abende, die bald legendären Status erlangten. Immerhin führte die künstlerische Ahnengalerie des Dirigenten direkt zu Brahms zurück, der den jungen Solisten kannte und ihn angeblich sogar einmal gebeten haben soll, an seiner Stelle an einer Aufführung seines B-Dur-Klavierkonzerts mitzuwirken, was Fiedler aber bescheiden abgelehnt haben soll.

Jedenfalls war der 19jährige junge Musiker Zeuge der von Brahms selbst dirigierten Erstaufführungen des Violinkonzerts und der Zweiten Symphonie in Leipzig und zählte über seinen Kompositionslehrer Julius Spengel wenn nicht zum innersten Zirkel, so doch zum Künstlerkreis um Brahms, der wiederholt Zeuge von Fiedlers frühen Aufführungen seiner Symphonien und Ouvertüren wurde.

In seiner Amtszeit in Essen führte Fiedler jedoch auch konsequent Werke von Brahms' Antipoden Anton Bruckner auf - in einer Spielzeit sogar einmal sämtlich neun (numierierten) Symphonien in zyklischer Form, was nicht nur für damals eine Rarität darstellte.

Ein »Winderkind«

Fiedler hatte als pianistisches Wunderkind bereits mit elf Jahren als Solist in einer Aufführung von Mozarts A-Dur-Konzert KV 488 im heimatlichen Zittau brilliert. Seine Musikerkarriere führte ihn dann auch zunächst als Pianist auf verschiedene Konzertpodien in Deutschland, bevor Hans von Bülow, dessen Dirigiertechnik ihn entschieden beeinflußte, ihn als Assistenz-Dirigenten in Hamburg akzeptierte.

Jahre in Boston

Karl Muck, der ein Studienkollege und Freund Fiedlers war, schlug den Kollegen schließlich als Nachfolger für die Position des Chefdirigenten des Boston Symphony Orchestra vor. So arbeitete Fiedler für die Spielzeiten 1908/09 bis 1911/12 in Boston, nicht immer wohlgelitten von der Kritik, aber geliebt vom Publikum, das seine leidenschaftlichen Interpretationen schätzte. 1912 übergab er sein Amt erneut an Karl Muck.

Die Jahre in Essen

Nach seiner Rückkehr nach Europa war Fiedler zunächst vor allem in Berlin tätig, wo man ihn bald als den führenden Brahms-Dirigenten unserer Zeit pries. 1916 ging er dann nach Essen, wo er bis 1934 im festen Engagement blieb und über Jahre auch den Unterricht an der renommierten Folkwang Schule prägte.

In einer knappen Würdigung des damals 77jährigen Dirigenten bringt der Rezensent der Signale für die musikalische Welt dessen Kunst auf den Punkt:
Die schlichte Größe und die abgeklärte Künstlerschaft, mit der er die großen Meisterwerke der Musik gestaltet, flößen jedem wahrhaft Kunstgenießenden unbedingte Achtung ein. Die Aufführungen klassischer und romantischer musikalischer Schöpfungen werden in seiner Interpretation immer von neuem zum Erlebnis, da sie stets vollendeter erarbeitet und mit innerster Anteilnahme des Musikers und Menschen im Dirigenten unmittelbar wirksam gestaltet werden.

Aufnahmen

Aus der Perspektive der Nachgeborenen setzte der Stil von Fiedlers Interpretationen rasch Patina an. Für die »Originalklang-Generation« scheinen die Temporückungen und das pastose Klangbild geradezu unannehmbar. Schon Mitte des XX. Jahrhunderts beschied ein Rezensent dem Brahms-Bild Fiedlers wegen scheinbarer Willkürlichkeiten mehr Nähe zu Bülow als zu Brahms selbst. Eine Begründung für diese Weisheit blieb allerdings aus - und tatsächlich darf man annehmen, was bei Fiedler nach Eigenmächtigkeit des Interpreten klingt, stand als Manier gewiß in einer direkt vom Komponisten herrührenden Spieltradition.

In diesem Sinne sind nicht nur Fiedlers Brahms-Aufnahmen zumindest von historischem Wert - und abgesehen davon: Wer etwa die Wiedergabe der Fünften Symphonie Ludwig van Beethovens hört, wird sich der Sogwirkung nicht entziehen können: Da herrscht vom ersten Einsatz an Hochspannung, die durch geschickte dramaturgische Effekte - vor allem durch besagte Tempomodifikationen - noch gesteigert wird. Wie Beethovens Symphonie zur Zeit des Komponisten wirkich geklungen hat, wird man nie erfahren, daß Fiedlers Interpretation zu den lebendigsten und packendsten Darstellungen der Partitur gehört, werden unvoreingenommene Hörer nicht leugnen wollen.



DA CAPO



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