Die Klaviertrios
Drei Trios op. 1 (1795)
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Wiener Trio-Kultur
Daß Beethoven just mit der Gattung des Klaviertrios ein erstes Zeichen setzte, hat mit der Beliebtheit der Triobesetzung - nicht nur in Wien - in jenen Jahren zu tun. Seit Mitte des XVIII. Jahrhunderts blühte die Kammermusik in der kaiserlichen Residenzstadt. Da auch das bürgerliche Leben langsam zu voller Größe erwachte, musizierte man in der praktischen Trio-Besetzung in den Salons der Stadt. Als Mozart nach Wien kam, waren im Handel Stimmen für an die siebzig verschiedene Trio-Kompositionen erhältlich. Wobei es sich stets um groß angelegte Klaviersonaten »mit Begleitung« zweier Streichinstrumente handelte. Erst nach und nach emanzipierten sich Geige und - zuletzt auch - das Cello vom Klavier und wurden zu gleichberechtigten Partnern.
Die ersten, teils zaghaften Schritte auf diesem Terrain machten Johann Christian Bach und Franz Xaver Richter, dann auch Joseph Haydn in seinen elaborierteren Werken der Gattung.
Auch Mozart hatte mit Klaviersonaten zu Streicherbegleitung begonnen - wie für Beethoven stellten diese Trios, die in seinem Fall freilich verkappte Klaviersonaten waren - erste Talentproben dar; in Mozarts Fall entstanden im kindlichen Alter während der Reise nach Paris und London (KV 10 - 15).
Und obwohl die Stimmen der Streichisntrumente in Mozart während seiner Wiener Jahre geschriebenen Trios bereits weitgehend vom Klavierpart gelöst scheinen, konnte die Forschung noch im Falle des G-Dur-Trios, KV 564, davon ausgehen, daß hier eine umgearbeitete Klaviersonate vorliege. Doch vor allem mit dem E-Dur-Trio, KV 542, liegt ein Werk vor, das die kammermusikalischen Dimensionen inhaltlich bereits sprengt und durchaus den etwa gleichzeitig entstandenen letzten drei Symphonien (KV 543, 550 und 551) an die Seite gesellt werden kann.
Hier und bei den jüngeren Haydn-Trios knüpft Beethoven an - geht aber gleichzeitig einen kräftigen Schritt voran. Die drei Werke durchliefen einen längeren Reife- und Probeprozeß, wurden im Palais des Widmungsträgers Carl von Lichnovsky (in der Wiener Schauflergasse) mehrmals gespielt, um vor der Drucklegung noch korrigiert und teils kräftig verändert zu werden.
Allegro
Adagio affettuoso ed appassionato
Scherzo: Allegro molto
Allegro
Beethovens Opus 1 (1795) war ein trotzig-selbstbewußtes Zeichen: Der Komponist, unterstützt vom Widmungsträger, dem Fürsten Lichnovsky, konnte mit dem wichtigsten Verleger jener Zeit in Wien, Artaria, exzellente Konditionen aushandeln und landete, nach heutigen Kriterien bewertet, mit diesen drei Werken einen Welterfolg: Die Trios wurden sogleich in ganz Europa nachgedruckt und verbreiteten den Ruhm des jungen Komponisten schlagartig. Allein in Wien standen 224 Namen auf der Subskriptionsliste - man erinnert sich, daß die Reaktionen auf Mozarts späte Versuche, zu Subskriptionen aufzurufen, an einer Hand abgehählt werden konnten...
Die Rezensenten lobten Erfindungsgabe und Originalität Beethovens überschwenglich. Im Wiener Journal für Theater, Musik und Mode hieß es:
Gewaltig, mächtig und ergreifend trat Beethoven in jenen schönen Trios als Klavierkomponist auf … Neuheit und Fülle, eine Leichtigkeit die harmonischen Hilfsmittel zu gebrauchen, eine gewisse Eigenheit des Stiles und der Behandlung liessen von dem noch jungen Manne einen originellen und genialen Komponisten erwarten.Noch steht unverblümt das große Vorbild Mozart im Raum. Manche Kommentatoren nennen dessen Klavierquartet in Es-Dur als unmittelbares Vorgängerwerk von Beethovens erstem Trio in derselben Tonart. Unüberhörbar ist wohl der Anklang des Hauptthemas des Kopfsatzes an das Final-Thema von Mozarts d-Moll-Klavierkonzert und auch das B-Dur-Klaviertrio Mozarts könnte für den langsamen Satz in Beethovens Erstlingswerk Pate gestanden sein. Doch schwingt sich Beethoven in all diesen Fällen von freien Assoziationen auf in Regionen höchst selbständiger Entfaltung der Fantasie. In der dramatisch stark zugespitzten Durchführung der beiden kontrastierenden Themen des Kopfsatzes, der eine Quasi-Apotheose des lyrischen Seitenthemas in der Coda folgt, aber auch im weit geatmeten Gesang des Adagios, (As-Dur) dem in einer magisch-leuchtenden C-Dur-Episode ein Höhepunkt von atemberaubender Innigkeit eingeschrieben ist. Originell danach das tonal überraschend weit ausgreifenden, skurrilen Scherzo, das erst über c-Moll und B-Dur in die Grundtonart zu finden scheint; vor allem aber das Finale, das von kecken Dezimsprüngen in überrumpelnde Geschäftigkeit vorangetrieben wird. Wobei die Thematik bewußt volkstümlich bis hin zum beinah parodistischen Ton wirkt; es ist wohl kein Zufall, daß Johann Strauß Sohn Beethovens Einfällen in seiner Tritsch-Tratsch-Polka seinen Tribut zollte!
Mit der Einbindung volkstümlicher Elemente hat Beethoven, den wir in seinem Komponistenleben kaum je wieder so ungetrübt gut gelaunt erleben werden, am ehesten dem Lehrer Haydn nachgeeifert - der übrigens erwartet hatte, Widmungsträger dieses Opus 1 zu werden, aber auf die Klaviersonaten op. 2 warten mußte: Lichnovsky war der potente Mäzen und unermüdliche Promotor Beethovens in der großen Wiener Gesellschaft...
Adagio - Allegro vivace
Largo con espressione
Allegro
Presto
Bemerkenswert die harmonische Gliederung der Sätze: Das ausdrucksstarke Largo steht in E-Dur, wobei die harmonische Architektur der viersätzigen Struktur darauf im Trio des dritten Satzes reagiert, das in h-Moll steht.
Und schon der Eintritt des Hauptthemas nach der Adagio-Einleitung des Kopfsatzes wartet mit einer kräftigen Irritation der Hörgewohntheiten auf: In welcher Tonart beginnt dieses Allegro? In C-Dur? In a-Moll? Erst achten Takt ist das erwartete G-Dur erreicht und es dauert weitere vier Takte, bis es endgültig bestätigt ist.
Wobei hier weniger die melodisch-thematische Erfindungskraft Beethovens fesselt als die dramaturgische Verarbeitungstechnik: Man wartet gespennt, was sich aus diesem vergleichsweise kargen Material entwickelt.
Auch im zweiten Satz, liegen den Variationsfolgen zwei im ersten Moment unscheinbare Gedanken zugrunde. Aus ihnen treiben in der Folge aber immer fantastischere, weit in die Romantik vorausweisende Blüten.
Raffiniert bindet Beethoven den überraschenden Pianissimoschluß des - übrigens eng mit dem entsprechenden Satz der Klaviersonate op. 2/3 verwandten - Scherzos an das folgende Finale. Spielt man ohne Pause weiter, nimmt der 2/4-Takt des vierten Satzes die Akkordfolge, die den dritten beschlossen hat, nahtlos auf - während die Violine darüber das rasante Final-Thema exponiert. -- Übrigens hatte Beethoven dieses Finale ursprünglich im 4/4-Takt notiert und, wie Ferdinand Ries berichtet, erst auf Anraten des Cellisten Anton Kraft, der an Voraufführungen der Trios op. 1 beim Fürsten Lichnovsky beteiligt war, die schließlich gedruckte 2/4-Version erstellt.
Elaboriert ist in diesem Werk - wie in den beiden anderen Trios aus Opus 1 - auch die Satztechnik. Mehr als einmal wird man daran erinnert, daß Beethoven sich - nachdem seiner Lehrer Joseph Haydn wieder zu einer London-Reise aufgebrochen war - im Kontrapunkt bei Johann Georg Albrechtsberger fortbildete. Eine Skizze zum Beginn des Largos findet sich auf einem Blatt mit Übungen im doppelten Kontrapunkt!
Allegro con brio
Andante cantabile con variazioni
Menuetto. quasi allegro
Finale. Prestissimo
Mag sein, auch weil er dies fühlte, gab sich Haydn anläßlich der ersten Privataufführung der Trios - lange vor ihrer Drucklegung - skeptisch in bezug auf das c-Moll-Werk, wie Ferdinand Ries berichtet:
Die drei Trio’s von Beethoven sollten zum erstenmale der Kunst-Welt in einer Soirée beim Fürsten Lichnowsky vorgetragen werden. Die meisten Künstler und Liebhaber waren eingeladen, besonders Haydn, auf dessen Urtheil Alles gespannt war. Die Trio’s wurden gespielt und machten gleich außerordentliches Aufsehen. Auch Haydn sagte viel Schönes darüber, rieth aber Beethoven, das dritte in C moll nicht herauszugeben. Dieses fiel Beethoven sehr auf, indem er es für das Beste hielt… Daher machte dies Aeußerung Haydn’s auf Beethoven einen bösen Eindruck und ließ bei ihm die Idee zurück: Haydn sei neidisch, eifersüchtig und meine es mit ihm nicht gut.
Zwei Trios op. 70 (1808)
Allegro vivace con brio
Largo assai ed espressivo
Presto
Das erste der beiden verdankt seinen gespenstischen Beinamen der Stimmungswelt, die das d-Moll-Largo beschwört. Carl Czerny, Beethovens Schüler, berichtet, der Komponist hätte sich zur Zeit der Komposition intensiv mit Tragödien Shakespeares beschäftigt. Der langsame Satz des Trios mit seinen Klaviertremoli und chromatischen Gängen sei von Hamlets Vision des toten Vaters inpsiriert worden:
Der Charakter dieses sehr langsam vorzutragenden Largo ist geisterhaft schauerlich, gleich einer Erscheinung aus der Unterwelt.Die Ecksätze stehen dazu in heftigstem Kontrast: pulsierend und energetisch das Eingangs-Allegro, spritzig und ausgelassen die Schatten vertreibend das Finale.
Poco sostenuto – Allegro, ma non troppo
Allegretto
Allegretto, ma non troppo
Allegro
Das »Erzherzogstrio«
Allegro moderato
Scherzo. Allegro
Andante cantabile ma però con moto. Poco piu adagio.
Allegro moderato - Presto
Vom Dramatiker Beethoven ist hier wenig zu bemerken: Das Eingangs-Allegro wirkt eher wie ein unablässig strömender Gesang, der sich über manch melancholische, träumerische Ruhezone hinweg, über Exposition, Durchführung und Reprise hinweg immer freier und freier entfaltet bis hin zu einer erst in der abschließenden Coda erreichten, hymnischen Euphorie.
Das Scherzo verbreitet gegenüber diesem emotionalen Crescendo eine volkstümlich-tänzerische Stimmung - freilich bei durchaus komplexer Faktur: Dem Walzerthema antwortet zweimal ein in b-Moll-Düsternis getauchtes, sinistres Trio. Erst die Coda scheint die fröhliche Stimmung endlich abzusichern. Ein zeitgenössischer Kritiker brachte es auf den Punkt:
Ein solch unscheinbares Ding, das so leicht aussieht, sich so gemütlich anhört, so unschuldig sein kleines Pflanzenleben durchtändelt, – trägt den Stempel der Vollendung in sich, und kann nur aus der Feder eines gelehrten Theoretikers fließen.Der folgende Variationssatz experimentiert weniger mit den Möglichkeiten, das schlicht-romantische D-Dur-Gesangsthema charakterlich zu verändern, als es in immer neuen Beleuchtungen durch Erkundung der klanglichen Möglichkeiten der Triobesetzung erscheinen zu lassen - mit einem von machtvollen Klavierakkorden gestützten Höhepunkt in der vierten Variation. Die bereits in den späten Trios Mozarts und Haydns erreichte Unabängigkeit der Stimmen von Geige, Cello und Klavier ist hier - und im folgenden Finale - auf die Spitze getrieben. Von der einstigen Klaviersonate, die von zwei Streichinstrumenten »begleitet« wird, die durchaus auch weggelassen werden konnten, ist nichts mehr zu bemerken: Hier konzertieren drei Solisten miteinander. Und werfen einander Pointen zu - um in der rasanten, metrisch vom graden Takt in 6/8-Rhythmik wechselnden Stretta den Hörern einen Streich zu spielen: Die Musik scheint sich im fernen A-Dur zu verlaufen, ehe eine ausgiebige Kadenz in der Gruntonart B-Dur uns eine lange Nase dreht.