Die ersten beiden Cellosonaten Beethovens sind tatsächlich die ersten Werke dieses Genres, in denen das Cello gleichberechtigt neben dem früher dominierenden Klavier steht - Vorbild dafür waren die späten Violinsonaten Mozarts, die Beethoven liebte und genau studiert hatte.
Die Cellosonaten sind Frucht der Reise Beethovens an den Hof König Friedrich Wilhelms II., der ein begeisterter Hobby-Cellist war und bald nach seiner Thronbesteigung, 1786, die französischen Cellovirtuosen Jean-Pierre und Jean-Lous Duport nach Berlin holte. Für Jean-Louis und sich selbst schrieb Beethoven seine beiden Sonaten, deren Widmung der König gern annahm und ihm dafür, wie Ferdinand Ries berichtet, »eine goldene Dose mit Louisdor gefüllt« überreichen ließ.
Wie zur Demonstration der Gleichberechtigung beider Instrumente läßt Beethoven im ersten Satz von op. 5/1 fast alle thematischen Vorgänge dialogisch absolvieren: Was das Klavier präsentiert, wird vom Cello aufgegriffen, und umgekehrt. Das Finale ist ein von zwei höchst charakteristischen, sehr kontrastierenden Intermezzi unterbrochenes Jagd-Stück im rasanten 6/8-Takt und weist insofern noch einmal zurück auf barocke Giguen-Finali, deren Bewegungsenergie es aber meldoisch geschmeidig dem herrschenden »galanten Stil« anpaßt.
Die zweite Sonate beginnt erneut mit einer langsamen Einleitung, die noch deutlicher als im F-Dur-Werk die Vorbildwirkung der barocken französischen Ouvertüre (mit ihren charakteristischen punktierten Rhythmen) zugunsten eines modernen lyrischen Adagio-Tons zurückdrängt und die gesanglichen Möglichkeiten des Cello-Tons nutzt. Im folgenden Allegro exponiert Beethoven die Themen ebenfalls mit Bedacht auf die Emanzipation des Cellos als Soloinstrument. Das Finale ist ein munterer Springtanz in G-Dur, wobei die pianistische Virtuosität ebenso brillant gefordert ist wie jene des Cellisten, den Beethoven wiederholt zu artistischen Effekten führt. Duport durfte anläßlich der Uraufführung ebenso glänzen wie der Komponist selbst.
Die ausgreifendste von Beethovens Cellosonaten ist die mittlere, in A-Dur und etwa zur Zeit der Fünften und Sechsten Symphonie entstanden. Wäre der Vergleich zulässig, man könnte behaupten, der bedeutende Eröffnungssatz der Sonate hielte genau die Waage zwischen dem »pastoral«-lyrischen Ton von op. 68 und dem stürmischen Gestus der Schicksalssymphonie, deren vorwärtsdrängender Impetus in der Durchführung widerhallt. Sie wird fast durchwegs von dem zunächst unscheinbaren Moll-Motiv beherrscht, das inmitten des Satzes melancholische, dann wild-kämpferische Züge annimmt. Exposition und Reprise sind hingegen eher von jener verhaltenen Stimmung getragen, die das gesangliche Eingangsthema suggeriert.
Mit dem Mittelsatz gelang Beeethoven dann ein, zweimal von einem idyllischen Trio in Sexten-Parallelen unterbrochenes, freches Scherzo. Über dessen Artikulation herrschen übrigens geteilte Ansichten: Die traditionelle Spielweise behandelt die übergebundenen Noten wie die Schulweisheit es lehrt, bei Beethovens Schüler Czerny hingegen kann man lesen, daß Beethoven selbst übergebundene Noten im folgenden Takt noch einmal anschlug - wie etwa bei Rudolf Buchbinder und Janos Starker zu hören.
Zur Balance gegenüber dem ausgelassenen Finale, in dessen hymnischer Steigerung wir durchaus ein Gegenstück zum Finale der Pastorale hören können, genügt Beethoven in diesem Fall ein kurzes Adagio cantabile, das eher eine Überleitung zwischen Scherzo und Allegro vivace als einen eigenen langsamen Satz darstellt.
Die Sonaten op. 102
Joseph Linke war der Cellist im Quartett von Ignaz Schuppanzigh, Beethovens wichtigsten Uraufführungs-Ensemble. Obwohl der Komponist bereits kaum noch hören konnte, entnahm er dem Bogenstrich und der Griffweise Linkes, zu welcher Virtuosität und Tonschönheit der Musiker fähig war - und schneiderte ihm die beiden Sonate op. 102 auf den Lieb, die Linke mit Beethovens Schüler Carl Czerny 1815 aus der Taufe hob.
Die Befreiung des Cellos vom Begleitinstrument zum gleichberechtigten Partner ist hier noch weiter fortgeschritten als in der A-Dur-Sonate. Beethoven, unterwegs zu dem, was wir seinen Spätstil zu nennen gewohnt sind, dünnt den Klavierpart mehr und mehr zur Zweistimmigkeit aus und nützt die so gewonnene klangliche Struktur zu einem kontrapunktisch verdichteten Satz.
Die formale Anlage dieser Sonate wirkt auf den ersten Blick wie ein Rückgriff auf die zweiteilige, dem barock entlehnte Struktur der Sonaten op. 5. Doch ist hier die übergreifende architektonische Konstruktion raffiniert und bindet alle vier Abschnitte zu einem großen Ganzen - was die Zeitgenossen eher verwirrt als überzeugt hat. Diese Sonate könne man, wie ein Hörer der Uraufführung im Jahr 1815 notierte
beim ersten Hören ohnmöglich verstehen.
Erstaunlich ist bereits die tonale Anlage. Der Grundton des Werks, C, wird in einem träumerischen Andante zunächst fast monomanisch durchgehalten, die Musik scheint sich improvisatorisch frei in der puren C-Dur-Welt auszusingen. Ein zeitgenössischer Rezensent hörte
eine süße, liebliche Melodie ... ebenso einfach und rührend als herzlich und eine bittende, weiblich schöne Empfindung atmend
Ein jäher Ruck führt uns ins parallele a-Moll - und damit in eine stürmisch bewegte andere Welt, in die nur jeweils kurz und wie ferne Ahnungen Fragmente aus der lyrisch-arkadischen Welt der Introduktion hereinklingen - die Tonart C-Dur schimmert nur ein einziges Mal zu Beginn der Durchführung kurz auf. Im übrigen zeigt sich dieses Allegro vivace, wie der Rezensent Anno 1824 schrieb,
hart und rau, im männlichen Zorne ... glücklich erfunden, in großer Einheit bis zum Schlusse durchgetobt.
Auch der zweite Teil der Sonate wird von einem langsamen Abschnitt eingeleitet - wobei der diesmal in der Grundtonart C stehende Allegroteil seinen virtuosen Abschluß erst nach einer zur Apotheose gesteigerten Rückkehr des schwärmerischen Einleitungsmotivs der Sonate gesteigert wird, die sich damit formal perfekt rundet.
Diese Sonate ist wieder klassisch-dreisätzig angelegt, wobei der Kopfsatz diesmal ohne Introduktion mit seinem schwungvollen Sechzehntelmotiv losstürmt, dem Beethoven die ungeahntesten Varianten abtrotzt. (Der Gestus des Motivs klingt ein wenig wie eine fröhliche Variante des wilden Beginns des Quartetto serioso, op. 95)
Fast improvisiert wirkt der Mittelsatz, der sich zu einer fanastischen Vorwegnahme der späten, weit gesungenen Beethoven-Adagios auswächst, um pausenlos ins Finale überzugehen, das eine der frühesten Anverwandlung der Fugenform durch den späten Beethoven darstellt. Etwa zeitgleich mit der großen Fuge der Hammerklaviersonate entworfen und nicht minder kühn geschwungen; einer der glänzenden und raren Versuche, trotz vollkommener kontrapunktischer Beherrschung jeglichen »Bach-Tonfall« zu vermeiden.