Die Vestalin
Gaspare Spontini (1805-07)
Riccardo Muti dirigierte eine Rarität zur Saisoneröffnung der Mailänder Scala ein Werk, das man seit den Zeiten der Maria Callas nicht mehr gespielt hatte.
Dezember 1993
Vestas Feuer leuchtet nicht allen
Das Stück, dessen simple Handlung durchaus unzeitgemäß von den Tugenden Keuschheit und Pflichtbewußtsein erzählt und noch dazu von Göttin Vestas Gnaden ein Happy End findet, galt Anfang des vorigen Jahrhunderts als die Repräsentationsoper in Paris. Es wurde dort gegeben, wann immer etwas zu feiern war, gleich, ob der jeweilige Machthaber gerade Napoleon oder Ludwig hieß.In den Anfängen der Ära des Kaisers Napleon stieg der aus ärmsten Verhältnissen stammende Spontini als Protegée der Kaiserin Eugenie zum Staatskünstler auf und verkörperte in der Musik so etwas wie Jacques-Louis David mit seinem Klassizismus für die Bildenden Kunst.
Die Vestalin blieb Spontinis erfolgreichstes Werk, nach einem Libretto Victor-Joseph Étienne de Jouys ganz nach französischem Gusto gezimmert -- mit für heutige Begriffe enervierenden Ballettfinali im ersten und dritten Aufzug, aber auch einem dramaturgisch wie musikalisch hinreißend gebauten, packenden Mittelakt.
Starker Mittelakt
Dieser zweite Akt macht nicht nur deshalb staunen, weil der Rest der Komposition keineswegs auf solcher Höhe steht. Für die zentrale Auseinandersetzung zwischen der Titelheldin und deren Geliebten, über welcher sie ihre Aufgabe, das Feuer der Vesta zu hüten, vergißt, fand Gaspare Spontini nämlich expressive musikalische Topoi, derer sich später Meister wie Rossini oder Verdi bedienen sollten.Die Callas hat die zentrale Szene, zerrissen zwischen priesterlicher Pflicht und Sehnsucht nach dem Geliebten, einst mit ungeheurer Emotion aufgeladen.Das fasziniert den Hörer auch heute noch, wenn ein Dirigent wie Muti mit seinem nervös alle Ausdrucksgesten ausformulierenden Orchester tönende Leidenschaften schürt. Selbst dann, wenn eine Vestalin wie Karen Huffstodt nur eine tapfere Leistung bietet, ungefähr allen Noten der Partitur angenähert, aber in keinem Moment über den Dingen stehend, gestaltend.
Der → Livemitschnitt fesselt, auch wenn die Tonqualität zu wünschen übrig läßt.
Blasses Sängerpaar anno '93
Auch ihr Partner, Anthony Michaels-Moore, der eine ehemalige Corelli-Partie ins Baritonale verlagert, bleibt blaß, läßt aber immerhin mit schönem, gepflegtem Material aufhorchen. Unter den übrigen Sängern besticht diesmal nur die Darstellerin der Hohepriesterin, Denyce Graves, die ihrer Stimme auch etliche Charakterisierungsnuancen abzutrotzen weiß. Patrick Raftery oder Dimitri Kavrakos dagegen reduzieren ihre eigentlich dankbaren Aufgaben auf das Niveau von allzu ausschweifenden Stichwortbringern.Und doch packt die Musik in ihrem frühromantisch-revolutionären Geist. Nur die Ballette bremsen das, was wir Heutigen unter dramatischem Impetus verstehen, gewaltig. Muti nützt sie zwar, das Scala-Orchester leichtfüßig und brillant musizieren zu lassen. Die Choreographie von Amedeo Amodio hingegen scheint eher für das Bodenpersonal der Mailänder Kompanie entworfen. Lediglich Carla Fracci und Gheorghe Iancu leisten sich elegante, respektive kraftvolle Höhenflüge.
Inszeniert ist auch worden. Liliana Cavani betrachtete ihre Aufgabe als eine Art höherer Form von Auslagendekor. Sie stellte Arrangements im Stile der Enstehungszeit der Oper nach. Die Bilder Margherita Pallis, artifiziell aus Fragmenten von Triumphbögen und Tempeln kompiliert, heben sich zum Teil in assoziative Sphären.
So hat Mailand etwas zum Schauen. Und es kann, wenn es sich die Sänger wegdenkt, sehr viel Erstaunliches hörend entdecken. Es hat dieses Angebot zur Premiere mit Grandezza zur Kenntnis genommen. Viel weniger Glanz im Zuschauerraum, viel matterer Protest innerhalb wie außerhalb der Scala sind für die Chronisten darüber hinaus zu verzeichnen.
Die Handlung
Licinius, siegreich von seinem Fledzug gegen die Gallier nach Rom zurückgekehrt, sehnt sich danach, Julia wiederzusehen. Er ist ihretwegen ins Feld gezogen, um sich der höhergestellten Geliebten als würdig zu erweisen. Doch Julia mußte ihrem Vater, der die Ehe mit einem Parvenu verhindern wollte, auf dem Totenbett schwören müssen, Vestalin zu werden, also ein Keuschheitsgelübde abzulegen.
Julia ist dazu ausersehen, vom Triumphator mit dem Lorbeerkranz gekrönt zu werden. Ihre Liebe flammt heftig auf, während sie Angst und Schuldgefühle plagen.
Während sie nächtens das heilige Feuer hütet, dringt Licinius in den Tempel ein und will sie entführen. Während ihres leidenschaftlichen Dialogs erlischt die heilige Flamme. Julia wird festgenommen und zum Tod verurteilt. Dennoch verrät sie den Namen ihres Liebhabers nicht. Als Licinus sich selbst stellt, verleugnet sie ihn. Als Licinus' Mannen versuchen, Julia davor zu bewahren, eingemauert zu werden, greift die Göttin ins Geschehen ein und setzt Julias Schleier in Brand, der an der erloschenen Feuerstelle niedergelegt worden war. Das heilige Feuer lodert aufs neue - das junge Paar wird unter dem Jubel des Volkes vereint.