La Gioconda
Amilcare Ponchielli
Uraufführung: 1876 Mailand
PERSONEN DER HANDLUNG
La Gioconda, eine Straßensängerin (Sopran) – La Cieca, ihre blinde Mutter (Alt) – Alvise Badoero, Staatsinquisitor (Baß) – Laura Adorno, seine Frau (Mezzosopran) – Enzo Grimaldo, genuesischer Fürst (Tenor) – Barnaba, ein Straßensänger und Spitzel (Bariton) – Zuàne, ein Gondoliere (Baß) – Isèpo, ein Schreiber (Tenor) – Ein Lotse (Baß) – Ein Sänger (Baß) – Zwei Stimmen aus der Ferne (Tenor, Baß)Dramma lirico. Text von Arrigo Boito (als Tobia Gorrio) nach Victor Hugo.
1. Akt
Das Löwenmaul
Karneval auf dem Markusplatz. Barnaba, als Straßensänger verkleidet, macht Gioconda Avancen. Sie weist ihn zurück. Rachsüchtig bezichtigt er ihre blinde Mutter der Hexerei: Ihr sei es zuzuschreiben, daß der beliebte Gondoliere bei der Regatta verloren habe. Das Volk ist empört und will die alte Frau auf dem Scheiterhaufen sehen. Gioconda und ihr Geliebter, Enzo Grimaldo, versuchen zu beschwichtigen. Die maskierte Laura bittet ihren Mann, Alvise Badoero, um Gnade für die blinde Frau: Ein Rosenkranz beweise ja deren Frömmigkeit. La Cieca schenkt ihr dankbar diesen Rosenkranz.
Voce di donna
Barnaba hat in Enzo jenen jungen Mann erkannt, der auf Alvises Weisung aus Venedig verbannt worden ist. Er behauptet, ein Stelldichein zwischen Enzo und Laura vermitteln zu können. Sie war früher Enzos Geliebte und ist mittlerweile zur Ehe mit Alvise gezwungen worden. Damit will Barnaba Gioconda treffen, die seine Liebe zurückgewiesen hat.
Allein geblieben, diktiert Barnaba einem Schreiber eine Denunziationsschrift, um sie ins berüchtigte Löwenmaul, den Briefkasten der Inquisition, zu stecken.
O monumento
Sein erstes Ziel hat er bereits erreicht: Gioconda hat verzweifelt mitangehört, daß Enzo Laura treffen wird.
2. Akt
Der Rosenkranz.
Barnaba beobachtet, wie Enzos Schiff zum Auslaufen fertig gemacht wird.
Pescator, affonda l'esca
Enzo träumt im Angesicht des Sternenhimmels seine Liebessehnsucht.ielo e mar
Laura erscheint.Duett Laggiù fra le nebbie remote
Gioconda erscheint, als Laura den Segen der Madonna für ihre Flucht mit Enzo erbittet.
Mit einem Dolch
bewaffnet, dringt sie auf die Rivalin ein. Als sie jedoch den Rosenkranz ihrer Mutter in Lauras Händen erkennt, verhilft sie der Retterin ihrer Mutter zur Flucht. Enzo gegenüber behauptet sie jedoch, Laura sei verschwunden, weil sie ihn nicht mehr liebe. Enzo jedoch glaubt ihr nicht. Er bezweifelt auch, daß Barnaba ihn denunziert haben könnte. Als sich Alvise mit seinen Schergen nähert, sezt er sein Schiff in Brand und rettet sich, Lauras Namen
auf den Lippen, durch einen Sprung ins Wasser.
3. Akt
Ca'd'oro.
Alvise ist wütend.
Si, morir ella de'!
Er will Laura zum Selbstmord zwingen. Doch die heimlich in den Palast eingedrungene Gioconda kann Laura retten. Aus Liebe zu Enzo verabreicht sie ihr ein Mittel, das sie in einen todesähnlichen Schlaf versetzt. – Im Festsaal daneben unterhält Alvise indessen seine Gäste mit einer Tanzdarbietung.
Tanz der Stunden
Barnaba stört das Fest: Er hat die Cieca
im Palast aufgespürt, als sie angeblich für eine Sterbende gebetet hat: »Für Laura«, raunt Barnaba
Enzo zu, der daraufhin wütend Genugtuung von Alvise fordert: »für den Raub meiner Heimat und
meiner Geliebten«. Alvise öffnet höhnisch die Tür
zu Lauras Kammer: Dort liegt die wie tot aufgebahrte Frau. Inmitten des Tumults verspricht Gioconda sich Barnaba hinzugeben, fals er Enzo rette.
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4. Akt
Der Kanal Orfano
Die scheintote Laura wird auf die Insel Giudecca zu Gioconda gebrachte. Gioconda schwankt: Soll sie das Gift nehmen, das Alvise seiner Frau aufzwingen wollte, oder Laura in den Kanal Orfano stoßen?
Suicidio!
Enzo ist freigekommen. Er denkt nur an Laura und wird von Gioconda zynisch begrüßt: Sie habe den Leichnam Lauras geraubt. Doch ehe Enzo Gioconda töten kann, erwacht Laura und preist Giocondas großherzige Hilfe. Dann flieht sie mit Enzo. Als Barnaba erscheint und seine Bezahlung fordert, stößt sich Gioconda den Dolch ins Herz. Barnabas sadistisches Bekenntnis, er habe ihre Mutter getötet, kann sie nicht mehr hören.
Librettist Arrigo Boito hat aus Hugos Drama raffiniert eine Art italienischer Grand Opéra gemacht. Ponchielli vertont die Grausamkeiten mit einer an Wagner geschulten Italianità, die stilistisch eine Brücke zu Verdis Altersstil und zum Verismus bildet. Die Soloszenen des Barnaba scheinen Verdis Jago vorwegzunehmen, manche Stimmungsmalereien des Orchesters weisen auf Puccini voraus.
Letztendlich konnte sich La Gioconda wegen der großen lyrischen, melodramatischen Szenen - allen voran Cielo e mar und Suicidio!, aber auch dank des Tanzes der Stunden, einer der besten Ballettmusiken der Operngeschichte, dauerhaft in den Spielplänen etablieren.
Aufnahmen
Über die Jahrzehnte hin, in denen die Aufführungsgeschichte durch Livemitschnitte dokumentiert ist, dominierten jeweils einige, wenige Diven die Szene.Zinka Milanov war die erste. Der früheste Mitschnitt läßt sich 1939 an der New Yorker Met an der Seite Giovanni Martinellis hören, bis in die Sechzigerjahre hinein war die Milanov (vor allem in New Yorker) Wiederaufnahmen die führende Gioconda. Ihre Tenor-Partner hießen Richard Tucker (ab 1946), Kurt Baum (1953) und Gianni Poggi. Spät in ihrer Karriere, 1957, ging die Milanov dann mit Giuseppe di Stefano ins Studio (RCA). Leonard Warren war der Barnaba, Rosalind Elias die Laura. Fernando Previtali stand am Pult. Alle miteinander waren damals nicht mehr auf der Höhe ihrer Kunst. Die Aufahme ist voll von unseten Tönen der Primadonna, mühsam erkämpften Höhen des Tenors, einem oft störend starken Vibrato des Baritons - und doch zieht die Unmittelbarkeit der Gefühlsaufwallungen, die der Hörer hier miterleben kann, unweigerlich in ihren Bann. Es ist, wenn man so will, die am wenigsten perfekte Studioaufnahme der Gioconda, aber die überzeugendste. Man lauscht und erlebt ein Drama mit allen Facetten verzehrender Leidenschaft - ein kurzer Verzweiflungsausbruch der Milanov, eine hingebungsvolle Phrase di Stefanos sagen mehr über die Charaktere aus als so manche ausgefeilte Gesangsnummer auf anderen Einspielungen. Als Gestalt aus Fleisch und Blut hat Zinka Milanov in der Aufnahmegeschichte lediglich - wie denn auch anders? - Maria Callas zur Seite. Deren Gioconda-Darstellung - in weitaus weniger überzeugender Umgebung - gehört freilich zu den Großleistungen des Operngesangs. Nebst Gianni Poggi und Paolo Silvestri stand bei dieser Produktion der RAI Turin unter Antonino Votto immerhin Fedora Barbieri als Laura im Studio.
Sieben Jahre später war beim Stereo-Remake in Mailand - wieder unter Votto - Fiorenza Cossotto die Gegenspielerin, vulkanös auch sie, getrieben von dem intensiven Piero Cappuccilli als Barnaba; doch die Callas ist nicht mehr ganz von jener Souveränität, die die Erstaufnahme hören läßt.
Als Laura schlägt übrigens Giulietta Simionato alle Konkurrentinnen um Längen: Sie ist auf der von Gianandrea Gavazzeni dirigierten Decca-Aufnahme zu erleben, mit dem ebenso konkurrenzlosen Barnaba von Ettore Bastianini. Anita Cerquetti, eine Zeitlang hoch gehandelt, ist hier die Giocaonda - nicht so differenziert-farbig wie Milanov oder gar die Callas, aber in ihrer Gradlinigkeit überrumpelnd, ganz ähnlich wie der Enzo Mario del Monacos, dem in der jüngeren klanglich exquisiten Decca-Aufnahme unter Lamberto Gardelli der weitaus kultiviertere Carlo Bergonzi die Show stiehlt: Auch ihm fehlt es nicht am nötigen Aplomb für Cielo e mar, aber er gebietet über mehr Zwischentöne und viel mehr Eleganz der Phrasierung. Bergonzis Gioconda ist Renata Tebaldi, schon gegen Ende ihrer Karriere, aber ungemein dramatisch und engagiert. Robert Merrill dazu als Bariton-Intrigant - das garantiert ein starkes Hör-Erlebnis.
Hat man die genannten Aufnahmen gehört - mit all ihrem jeweiligen »Ja, aber« - kehrt man vielleicht reumütig zurück zu Milanov, di Stefano und Warren; nicht zuletzt, um dessen O monumento zu hören, oder besser: zu erfahren; als atemberaubendes »Vor-Echo« von Jagos Credo, das, man möchte es nicht glauben, gut zehn Jahre später komponiert wurde . . .