Bremer Freiheit

Adriana Hoelszky - nach R. W. Fassbinder

Gesamtaufnahme der Uraufführungs-Produktion (1988)

(wergo)


… daß eine Oper erst da anfangen kann, wo Menschen keine Möglichkeit mehr zu sprechen haben, wo ihre Gefühle so übermächtig werden, dass sie einfach nur noch singen können.

R. W. Fassbinder




Rainer Werner Fassbinders 1972 verfilmtes Stück über die Bemer Massenmörderin Geesche Gottfried war eines der meistdiskutierten deutschen Kunstprojekte im Zuge der Frauenrechtsbewegung der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre.
Adriana Hölszky machte aus dem Stoff eine Oper, die als spektakulärstes Projekt im Rahmen der von Hans Werner Henze initiierten Ersten Münchner Musikbiennale zur Uraufführung kam. Bremer Freiheit machte den Namen der Komponistin über Nacht bekannt.

Adriana Hölszky
1953     geboren in Bukarest (30. Juni)
1959-69Klavierstudium am Musiklyceum Bukarest
1961frühe Kompositionsversuche
1972-75Studium (Komposition, Klavier) Musikhochschule Bukarest
1976Übersiedelt in die BRD
1977-80Kompositionsstudium in Stuttgart bei Milko Kelemen
 Pianistin im Lipatti-Trio
1977/78Sommerakademie MozarteumSalzburg (Antonio Janigro)
1978/80Preise Kammermusikwettbewerbe Florenz und Colmar
1978-84Darmstädter Ferienkurse
19791. Preis beim Wettbewerbs Valentine Bucchi (Rom) für Pulsationen II
1980Accademia Musicale Siena (Franco Donatoni)
1980-89Lehrauftrag für Musiktheorie/Gehörbildung Hochschule Stuttgart
1981Gaudeamus-Kompositionspreis für Omaggio a Michelangelo
1982Max-Deutsch-Preis, Paris, für Space
1983Aufführung von Space IGNM Worid Music Days, Aarhus
1985Johann-Wenzel-Stamitz-Förderpreis
1988Premiere Bremer Freiheit (1. Münchener Biennale)
1989Aufführung Bremer Freiheit bei den Wiener Festwochen
1990Uraufführung von "LICHTFLUG" bei den Donaueschinger Musiktagen
1992Kompositionsseminare IRCAM (Paris)
1993/94Auftragswerk für das Staatstheater Stuttgart. Libretto von Thomas Körner nach dem Schauspiel »Wände« von Jean Genet

Fassbinder hatte die wahre Geschichte der Geesche Gottfried, die eine Reihe von ihr nahestehenden Menschen umgebracht hat, »um Ordnung zu schaffen« - und die 1831 nach einem aufsehenerregenden Prozeß auf dem Bremer Domberg vor 30.000 Schaulustigen enthauptet wurde - in eine Art »Ballade von der Selbstbefreiung der unterjochten Frau« verwandelt. Damit traf Fassbinder den Nerv der Zeit.

Zum Zeitpunkt der Veroperung durch Hölszky war dieser Ansatz bereits historisch geworden. Dennoch wurde die ausdrücklich als Singwerk auf ein Frauenleben bezeichnete Kammeroper viel diskutiert. Hölszky betonte, nicht an feministischer Agitation interessiert zu sein, sondern an der Umsetzung der existentiellen Befindlichkeit ihrer Bühnenfigur in Klänge.

Dabei wählte sie radikale Ausdrucksmittel, auch formal: Lustig ist das Giftmord-Leben, heißt im Verlags-PR-Text zur Oper, Geesche Gottfried morde in heiterer Gelassenheit. Die Morde reihen sich aneinander wie die verfremdeten Nummern einer Art Grandguignol-Operette.

Hans Werner Henze, Leiter der Biennale und Widmungsträger des Werks, befand, das Vorhaben sei seiner jüngeren Kollegin gelungen:
Der Hörer wird provoziert, gestört, es wird ihm auf die Nerven gegangen, an die Nieren. Es gibt Tiefschläge und Schienbeintritte. Es tut weh, doch ist es herrlich konsequent und rigoros gegen die überlieferten Vorstellungen von Gut und Böse gerichtet.
Henze wünschte sogar
daß es der Komponistin gelingt, mittels ihrer Musik unsere Sympathien allesamt auf die Seite der Mörderin zu lenken.


↑DA CAPO