Adriana Lecouvreur

Francesco Cilea (1902)

Text: Arturo Colautti nach Scribe und Legouvé (1849)

PERSONEN DER HANDLUNG Adriana Lecouvreur, Schauspielerin der Comédie-Française (Sopran) – Maurizio, Graf von Sachsen (Tenor) – Der Fürst von Bouillon (Baß) – Die Fürstin von Bouillon (Mezzosopran) – Michonnet, Regisseur (Bariton) – Der Abbé von Chazeuil (Tenor) – Mademoiselles Jouvenot (Sopran) und Dangeville (Mezzosopran), Messieurs Quinault (Bass) und Poisson (Tenor)
Paris, 1730


1. Akt
Die Comédie-Française. Hinter der Bühne. In Begleitung des Abbé de Chazeuil ist der Fürst von Bouillon auf der Suche nach seiner Mätresse, der Duclos. Sie soll heute Abend gemeinsam mit der gefeierten Adriana Lecouvreur auftreten.

Adriana erscheint, beschieden Komplimente abwehrend
Io son l'umile ancella
Der alte Michonnet hat eine Erbschaft gemacht und freut sich darauf, Adriana endlich seine seit Jahren verheimlichte Liebe zu gestehen. Doch ausgerechnet jetzt gesteht sie ihm, unsterblich in einen Fähnrich des Grafen von Sachsen verliebt zu haben. Sie ahnt nicht, daß es sich um den Grafen selbst handelt, der inkognito auftritt,
La dolcissima effigie
um ein Rendezvous nach der Vorstellung zu vereinbaren. Adriana schenkt ihm einen Strauß Veilchen und eilt auf die Bühne.

Der Fürst hat einen Brief der Duclos an den Grafen abgefangen, den in Wahrheit seine eigene Frau verfaßt hat, Moritz' heimliche Geliebte.
Nun spinnt der Fürst eine Intrige und bittet das Paar am gleichen Abend zu einem Stelldichein in die Villa seiner Mätresse. Danach leitet er den Brief weiter an den Grafen.

Adriana brilliert auf der Bühne.
Ecco il monologo
und Michonnet erkennt, daß er vergessen hat, ein wichtiges Requisit, einen Brief, bereitzuhalten. Der verärgerte Graf nützt die Gelegenheit, auf diesem nachgereichten Schreiben Adriana mitzuteilen, er sei heute abend doch verhindert.

Für das Publikum sind Adrianas tiefe Gefühle beim Öffnen des Briefes Beweis ihrer eminenten Schauspielkunst.
2. Akt
In der kleinen Villa der Schauspielerin Duclos erwartet die Fürstin von Bouillon den Grafen von Sachsen.
Acerba volutta
Als er erscheint, wahrt er merklich Distanz. Der Veilchenstrauß an seinem Rock verrät: Er hat sein Herz an eine andere verloren. Doch Moritz beruhigt sie.
L'anima ho stanca
Die Veilchen seien für sie bestimmt. Als der Fürst und der Abbé eintreffen, versteckt Moritz die Fürstin. Wenig später erscheint auch Adriana - befremdet, im Grafen ihren Geliebten wiederzuerkennen. Moritz versichert sich ihrer Mithilfe: Der Dame im Nebenzimmer muß aus politischer Raison zur Flucht verholfen werden, doch ist ihr Inkognito zu wahren.
Adriana überreicht der Fürstin im stockfinsteren Nebenzimmer den Schlüssel zu einem Nebenausgang, durch den sie die Villa heimlich verlassen kann. Die beiden Frauen müssen erkennen, daß sie beide Rivalinnen um die Gunst des Grafen sind.
3. Akt
Auf einem Fest im Palais Bouillon erlangt die Fürstin Gewißheit. Sie erzählt, Graf Moritz sei bei einem Duell verwundet worden. Adriana sinkt ohnmächtig zu Boden. Als der Graf unmittelbar darauf erscheint, kommt es zu einem bösartigen Wortgefecht zwischen den beiden Damen. Gleichzeitig tanzt das Ballett zur Unterhaltung der Gesellschaft Das Urteil des Paris.
Als Adriana danach um eine Kostprobe ihrer Kunst gebeten wird, rezi- tiert sie einen Monolog aus Racines Phaedra, dessen Verse die Fürstin als Anspielung auf ihre »verkommene Moral« erkennen muß.
4. Akt
Krank vor Sehnsucht nach dem fernen Geliebten, muß Adriana ihren Geburtstag allein feiern. Michonnet spricht ihr väterlichen Trost zu. Ein Kästchen mit den Veilchen, die sie Moritz an jenem Abend im Theater verehrt hat, findet sich unter den Geburtstagsgeschenken. Adriana meint darin einen Abschiedsgruß des Grafen zu erkennen. Tatsächlich stammt das Kästchen von der Fürstin. Die Veilchen sind mit Gift beträufelt. Adriana atmet den tödlichen Duft der Blumen ein
Poveri fiori
Michonnet hat inzwischen Moritz herbeigeholt. Doch als er sie bittet, seine Frau zu werden, hat das Gift bereits seine Wirkung getan. Adriana stirbt.

Hintergründe

Adrienne Lecouvreur hat wirklich gelebt. Sie galt als Frankreichs bedeutendste Schauspielerin und starb 1730, erst 38 Jahre alt. Das Gerücht, sie sei vergiftet worden, hielt sich hartnäckig. Das Konkurrenzverhältnis zur Duclos (1668–1748), die Affaire mit dem Grafen Moritz von Sachsen (1696–1750), dem Sohn Augusts des Starken und späteren Generalfeldmarschall Ludwigs XV., ist ebenso aktenkundig wie die dramatischen Verwicklungen mit der Herzogin von Bouillon.

Das Stück

Eugène Scribe und Ernest-Wilfried Legouvé konnten für ihr Schauspiels Adrienne Lecouvreur auf historische Tatsachen zurückgreifen. In der Titelpartie feierten noch Sarah Bernhardt und die Duse Triumphe.


Vergiftete Veilchen?

In der ersten Fassung des Librettos von Arturo Colautti wird sogar die eigenwillige Methode der Vergiftung durch einen Veilchenstrauß ausführlich erklärt: Die Fürstin ist durch ihren Ehegatten, der Chemie kündig, bestens über die Möglichkeiten informiert, Gegenstände mit Gift zu präparieren.

In der romantischen Literatur findet sich ein aufschlußreicher Bericht über raffinierter Giftmorde zur Zeit Ludwigs XIV. in Paris in der Novelle Das Fräulein von Scuderi von E. T. A. Hoffmann - die später auch Grundlage von Paul Hindemiths Oper Cardillac wurde:

Die Gifte, welche Sainte Croix bereitete, waren so fein, daß, lag das Pulver (»poudre de succession“ nannten es die Pariser) bei der Bereitung offen, ein einziger Atemzug hinreichte, sich augenblicklich den Tod zu geben. Sainte Croix trug deshalb bei seinen Operationen eine Maske von feinem Glase. Diese fiel eines Tags, als er eben ein fertiges Giftpulver in eine Phiole schütten wollte, herab, und er sank, den feinen Staub des Giftes einatmend, augenblicklich tot nieder.


Die Musik

Cilea bettet die dankbaren Solo-Nummern raffiniert in eine durchkomponierte, quasi symphonische musikalische Struktur ein. Moritz von Sachsen hat drei höchst unterschiedliche Arien, in denen er alle Facetten tenoraler Kunstfertigkeit ausspielen kann: La dolcissima effigie im ersten, L'anima ho stanca im zweiten und die »Reiterballade« Il Russo Mencikoff im dritten Akt.

Acerba volutta der Fürstin ist ebenso in den musikalischen Fluß integriert wie die beiden großen Arien der Adriana, Io son l'umile ancella und Poveri fiori.

Die Titelpartie in Cileas Werk ist bei Primadonnen beliebt, verspricht sie bei vergleichsweise reduziertem Aufwand ähnliche Erfolge wie manch anspruchsvolle Diven-Rolle. Angelica Pandolfini die Adriana der Uraufführung an der Mailänder Scala, an der Seite Enrico Carusos und Giuseppe de Lucas. Seither hießen die führenden Interpretinnen

In den Jahren um 2010 trugen den Primadonnen-Kampf um die Adriana Angela Gheorghiu und Anna Netrebko aus - wobei in der Neuproduktion an der Wiener Staatsoper beide Heroinen zu erleben waren - und in beiden Fällen mit der fulminanten Elena Zhidkova als Fürstin von Bouillon eine starke Gegenspielerin zu gewärtigen hatten.

Rezension der Premeire mit Angela Gheorghiu
18. Februar 2014

Zuletzt gab es nebst anhaltendem Jubel ein paar Buhrufe für das Regieteam. Man fragt sich, was die kritischen Geister von einer Inszenierung der Adriana Lecouvreur erwarten? Soll die Geschichte auf der Herrentoilette spielen? Oder aus Gründen der Aktualität, weil es ja um das Schicksal einer Schauspielerin geht, in einer Bankfiliale, in der eine Finanzdirektorin gerade eine Transaktion in Millionenhöhe abwickelt?

Die Staatsoper hat aus London eine Produktion David McVicars übernommen: In Dekors von Charles Edwards werden - durch Brigitte Reiffenstuels prachtvolle Kostüme ausgewiesen - Menschen im Frankreich Ludwigs XV. in ein Intrigenspiel aus Macht und Eifersucht verwickelt. Man spielt also, wie auf dem Programmzettel vermerkt, Adriana Lecouvreur des Puccini-Zeitgenossen Francesco Cilea. Eine Oper als Forum für eine Primadonna. Angela Gheorghiu nützt dieses weidlich: Ein Star spielt einen Star - und demonstriert, wie man ein solcher wird.

Wie wird man ein Star?

Indem man höchst artifizielles, bis in die kleinste Handbewegung ausgeklügeltes Auftreten mit ebensolcher Gesangskunst vermählt. Von der subtil in Pianissimoregionen knapp vor der Unhörbarkeit gedrechselten Kantilene der Auftrittsarie bis zum machtvoll anschwellenden Espressivo im Moment der äußersten Verzweiflung und wieder zurück zum wahnbetörten Todeshauch schwillt und erstirbt die Vokallinie.

Wenn die Gheorghiu freilich auf Elena Zhidkova trifft, die mit dieser Premiere ihr Staatsoperndebüt feierte, muß Sturmwarnung gegeben werden. Zhidkova läßt vom ersten Ton an keinen Zweifel daran, daß sie gewillt ist, ihre Kontrahentin mit allen Mitteln - nicht nur mittels vergifteter Veilchen - zu bekämpfen. An den respektgebietenden, in allen Lagen klangvoll-intensiven Mezzo-Attacken wächst der Angriffsgeist des Soprans.

Das Finale des zweiten Akts wird zum packenden Moment, weil auch das Orchester im wahrsten Sinne des Wortes mitspielt. Es ist (nach Anna Bolena) das zweite Mal, daß Evelino Pido am Pult einen solch melodramatisch aufgeputschten Östrogen-Konflikt anheizt und die Musiker reizt, alle Vokabel ihrer reichen Klangsprache für ein allseits keineswegs zur den Spitzenwerken gezähltes Opus zu nutzen. Angehörs der zart gesponnenen Phrasen der Diva verdünnte sich der Orchesterteppich zusehends, ohne doch je Risse im Gewebe aufkommen zu lassen. Die Eifersuchtsattacke bringt dann aber auch den Instrumentalpart in Rage. Und trotz allem herrscht durchwegs Tonschönheit: Zwei wohlbekannte Arien-Melodien durchziehen repetitiv, aber nicht enervierend den ganzen Abend mit Wohlklang.

Der Tenor hat's schwer

Schwer hat es in solchem Szenarium der Tenor in der einstigen Caruso-Partie des Moritz von Sachsen: Massimo Giordano, dessen Stimme bei länger dauernden Phrasen tremolierend an Konsistenz einbüßt, hat seine stärksten Momente im martialischen Stakkato der Erzählung von seinem heldenhaften Kampf gegen die Kosaken.

Im Gegenzug erweist sich Roberto Frontali als der Ruhepol des Geschehens - und wandelt sich vom enttäuschten älteren Verehrer in einfühlsamen Bariton-Kantilenen zum wohlmeinenden väterlichen Freund. Dieser Michonnet gibt Adriana Halt im Sturm der persönlichen Eifersuchtstragödie wie im oberflächlichen Getriebe, das in der Comedie Francaise hinter der Szene herrscht. Die exzellent besetzten Komparsen huschen da in wohlchoreographiertem Tohuwabohu über die Bretter, die die Welt bedeuten: Bryony Dwyer, Juliette Mars, Jongmin Park und Jinxu Xiahou als Buffo-Ensemble, Raul Gimenez und Alexandru Moisiuc als intrigante Zaungäste.

Ganz nach Pariser Gusto hat auch das Ballett seine exquisiten zehn Minuten. Und die Staatsoper besitzt ab sofort ein ideales Vehikel für spannende Konfrontationen, wie sie sich anläßlich der Premiere ereigneten. Das ist durchaus eine Bereicherung des Spielplans. Manche Primadonna könnte sich als Adriana bewähren. Und vielleicht empfiehlt sich auch die eine oder andere Debütantin - wie diesmal Elena Zhidkova - für weitere Aufgaben . . .


Rezension der Aufführung mit Anna Netrebko
11. November 2017

Staatsoper. Anna Netrebko brilliert in ihrer jüngsten Partie, Cileas Adriana Lecouvreur an der Seite von kongenialen Partnern, Elena Zhidkova und Piotr Beczala unter Evelino Pido.

Pathos a la Racine ist nicht ihre Sache, denkt man, während Anna Netrebko in der ersten Szene einen Tragödien-Text deklamiert - oder zumindest zu deklamieren versucht: So ist es nicht gut, singt sie, und man begreift: Das ist schon Teil der Gestaltungskunst. Die Diva spielt eine Diva, die den rechten Ton für ihre neue Rolle suchen muss. Die rechten Töne hat sie alle: Adriana Lecouvreur, die berühmte Schauspielerin, entpuppt sich hinter der Szene als liebenswertes, gutmütiges Geschöpf, fast kindhaft naiv noch, auch in ihrer Liebe zum Grafen Moritz von Sachsen, der sich ihr als armer Fähnrich vorstellt.

Doch bleiben die Intrigen nicht aus, Adriana durchläuft alle Stadien einer problematischen Beziehung, von der absoluten Hingabe über den Argwohn, die Eifersucht und den Hass bis zum Finale, in dem sie ein langsames Sterben zu durchleiden hat, vom Todeshauch der vergifteten Blumen bis zum Verlöschen in den Armen des Geliebten. Das spielt der Netrebko in solcher realistischen Intensität keine nach; und das kann auch niemand in so vielschichtigen vokalen Schattierungen vermitteln. Die stimmliche Entfaltungskraft des Soprans ist überwältigend, vom üppig strömenden Gesang bis zum machtvoll deklamierten Melodram.

Kampf gegen einen Vulkan

Wenn sie der Widersacherin ihre Verse entgegenschleudert, sitzt dann der Sprachduktus perfekt: Die Worte werden zur messerscharfen Waffe. Das ist auch nötig, denn wie schon anlässlich der Premiere der höchst pittoresken, vollkommen werkgetreuen Inszenierung David McVicars gibt die vulkanöse Elena Zhidkova wieder die Fürstin von Bouillon. Ihr Mezzo vermittelt die Eiseskälte der betrogenen Betrügerin, aber auch deren leidenschaftliche Ausbrüche fulminant. Der Abend hat zwei Primadonnen, wie zuletzt gegen Angela Gheorghiu behauptet sich Zhidkova auch neben der Netrebko.

In der Mitte steht Piotr Beczaa, der seine Traumstimme verströmt und mit den jeweils nötigen Ausdrucksparamtern anreichert, samtig weich im Duett mit Adriana, voll martialischer Attacke in der Schlachten-Ballade und melancholisch verschleiert in seinem Bekenntnis gegenüber der Fürstin, seine Seele sei müde geworden.

Das sind allesamt große Momente musiktheatralischer Gestaltung, wobei im Falle der Damen die Betonung ebensostark auf das Wörtlein theatralisch fallen darf, wie auch beim treu sorgenden Impresario Michonet von Roberto Frontali, der seine uneingestandene Liebe zu Adriana resigniert in väterliche Freundschaft umzuwandeln weiß und auch seinem Bariton entsprechend mild-verklärte Farben abtrotzt.

Das animierte Staatsopern-Ensemble nutzt die Bewegung auf der Hinterbühne zu quirlig-komödiantischer Aktion, agil in körperlicher wie stimmlicher Bewegung. Alexandru Moisiuc und Raul Gimenez durchwandern die Hektik in stoischer Ruhe als ungleiches Intrigantenpaar und halten damit die Handlung am Laufen.

Elegant, wie Evelino Pido im Orchestergraben Francesco Cileas Musik mit Geschmack modelliert: Die Partitur ist voll von Fallstricken heikelster harmonischer Übergänge während frei strömender Gesangsphrasen. Pido hat das im Griff und bringt das philharmonische Orchester auch über weite Strecken zu jenem fast geflüsterten, doch immer klar differenzierten Parlando, das die Geschehnisse eloquent und in immer neu kolorierten Stimmungsbildern vorantreibt. Zwischendrin sind die Musiker auch gefordert, den durchaus an Puccini orientierten melodischen Entfaltungen der Sänger Adäquates entgegenzusetzen, zweimal sogar in geschmeidigen Zwischenspielen allein die Führung zu übernehmen. Auch dafür hat der als Belcanto-Spezialist gerühmte Maestro eine gute Hand.



↑DA CAPO