La Wally

Alfredo Catalani

Renata Tebaldis Gesamtaufnahme unter Fausto Cleva (Decca)


Dass sein Zeitalter hätte kommen können, sollte dieser Komponist nicht erleben: Er starb noch vor dem Komponisten, dessen Stil er überwinden wollte. Alfredo Catalani (1854 - 1893) versuchte sich von Giuseppe Verdi abzusetzen, indem er höchst un-italienische Sujets wählte: Vier von seinen sechs Opern sind teutonischen Zuschnitts.

Und obwohl ihm mit La Wally eine wirklich eigenständige Partitur gelang, überflügelten ihn seine jüngeren italienischen Zeitgenossen: Sein Chef d'Oeuvre stand im Schatten von Puccinis erstem großen Erfolg, Manon Lescaut und wurde durch den Herold des Verismo, Mascagnis Cavalleria rusticana, die quasi zur selben Zeit herauskam wie La Wally in der Publikumsgunst weit geschlagen.

Doch sind es die Primadonnen, die dafür gesorgt haben, daß La Wally nie vergessen wurde. Die Titelpartie ist eine Paraderolle für Diven, die in jedem Akt eines Werks gern eine große Soloszene vorfinden. Eine davon, Ebben? Ne andro lontana wurde zum Schlager - und kam sogar zu Hollywood-Ehren.

20 Jahre hat Catalani den Plan zu seiner Oper über die sprichwörtliche »Geierwally« mit sich herumgetragen. Dem alpinen Sujet zum Trotz ist er stilistisch ganz »Italiener« in diesem Werk. Aber einer, der anderer Stile kundig war. Immerhin hatte er ein Jahr in Paris verbracht, ehe er zum Studium ans Mailänder Konservatorium ging, ein Jahr, in dem er die meisten von Meyerbeers größeren Opern, eine von Massenet, zwei von Ambroise Thomas und Webers auf Französisch gesungenen Freischütz kennenlernen konnte.

Denkt man sich alle diese Einflüsse amalgamiert, hat man eine recht präzise Vorstellungen von Catalanis Klangwelt. Ein wenig Lokalkolorit in Form eines Jägerchors und einiger Jodel-Sequenzen suggerieren uns das alpine Ambiente. Raffnierte Instrumentationseffekt rufen sogar die Assoziation von eiskalter Gebirgsluft hervor: wenn etwa im vierten Akt Piccoloflöte und Kontrabaß vier Oktaven voneinander entfernt miteinander musizieren. Einige schäfer geschnittene Effekte scheinen sogar Schostakowitschs KLangwelten vorwegzunehmen. Jedenfalls bewegt sich der Komponist auf der Höhe seiner Zeit, auch wenn er sich, seinem Publikum und seinen Sängern höchst melodische Momente gönnt.

Die Titelheldin darf neben ihren Solo-Szenen auch Duette mit ihrem ungeliebten Bariton-Verlobten und mit dem Tenor singen, den sie liebt, mit dem sie aber wegen bizarrer Verwicklungen erst spät (zu spät) zusammenfindet: Im Finale wird er von einer Lawine in den Tod gerissen -- und sie springt hinterdrein.

Für Dirigenten reizvoll ist die Partitur nicht zuletzt auch wegen des grandios arrangierten polyphonen Gewebes im komplexen Quartett und Chor im zweiten Akt.

Die Latte für die Interpreten lag bald hoch, als mit Arturo Toscanini (anläßlich der zweiten italienischen Einstudierung in Lucca) und Gustav Mahler führende Dirigenten sich des Werks annahmen.

Eine spannende Studioaufnahme gelang unter Fausto Clevas energischer Leitung mit Renata Tebaldi, der mit Mario del Monaco ein handfester Hagenbach und der rechschaffen sinistre Gellner von Piero Cappuccilli den Hof machen.



↑DA CAPO