Der Kaiser von Atlantis

oder: Der Tod dankt ab

Victor Ullmann. Text: Peter Kien/Felix Braun
Theresienstadt, 1944

PERSONEN DER HANDLUNG
  • Kaiser Overall (Bariton)
  • Der Lautsprecher (Baßbariton)
  • Ein Soldat (Tenor)
  • Harlekin (Tenor)
  • Bubikopf (Sopran)
  • Der Tod (Baß)
  • Der Trommler (Mezzosopran)

  • »Spiel in einem Akt« als Parabel vom wahnwitzig-machtbesessenen Herrscher, der den Krieg gegen die ganze Welt verkündet - angeführt von seinem Freund, dem Tod, als Feldherrn.
    Doch der Tod zerbricht sein Schwert. Niemand kann mehr sterben. Die Verwirrung ist vollständig. Feindliche Soldaten singen Liebesduette statt zu kämpfen. Todgeweihte finden keine Erlösung von ihrem Siechtum.

    Da unterbreitet der Tod sein Angebot: Er ist bereit, zu den Menschen zurückzukehren - unter der Bedingung, daß der Kaiser als erster sterben muß.

    Angesichts der Katastrophe nimmt der Herrscher das Angebot an und nimmt Abschied.


    Szenenfolge

    Harlekin betrauert den Verlust von Freude und Liebe.

    Der Trommler verkündet des Kaisers Willen: Die Menschen sollen so lange gegeneinander kämpfen, bis niemand mehr am Leben ist. Der Tod fühlt sich brüskiert: Der Kaiser hat ihm seine Aufgabe abgenommen. Er tritt in den Streik.

    Der Kaiser, nur noch via Lautsprecher mit seinem Reich verbunden, erfährt von einem Mann, der seine eigene Hinrichtung überlebt hat, von Soldaten, die nicht sterben können.
    Da beschließt er, seinen Untertanen des ewige Leben zu schenken:

    Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?


    Feinde fallen einander in die Arme. Statt der Kriegstrommel zu folgen, träumen sie von der erlösenden Liebe.

    Der Kaiser, den Harlekin an seine Kindheit erinnert, während der Trommler ihn zu weiteren Kämpfen anzustacheln versucht, verzagt. Während der Revolte seiner Untertanen gegen den unerträglichen Schwebezustand zwischen Sein und Nichtsein erblickt er im Spiegel den Tod und willigt ein, der erste zu sein, der »den neuen Tod« sterben wird. Er nimmt Abschied.
    Du sollst den großen Namen Tod nicht eitel beschwören!

    Oper unter Zwang

    Dieses Stück ist eine der beängstigenden Früchte der nationalsozialistischen Täuschungspolitik, die gegenüber der Weltöffentlichkeit vorzuspiegeln versuchte, in den Konzentrationslagern des Regimes herrschten für die Gefangenen geradezu vorbildliche Bedingungen.

    Tatsächlich gab es in Theresienstadt, das in der Realität lediglich eine Station auf dem Weg zur Hölle von Auschwitz war, ein regelrechtes Kulturleben, das von den Lagerinsaßen selbst organisiert werden durfte.

    Das wurde zu propagandistischen Zwecken genutzt. So mußte der Regisseur Kurt Gerron, der bald selbst ermordet wurde, im Lager einen Film namens Der Führer schenkt den Juden eine Stadt drehen. In der Schluß-Sequenz sind Teile einer Aufführung von Hans Krásas Kinderoper Brundibar zu sehen. Auch Krása wurde Opfer der Vernichtungspolitik.

    Ebenso wie seine Komponistenkollegen Gideon Klein und Erwin Schulhoff.
    Und eben auch Victor Ullmann, der quasi im letzten Moment noch seinen Kaiser von Atlantis vollenden konnte, ihn aber nicht mehr aufführen lassen durfte. Die Partitur übergab er vor der Deportation ins Vernichtungslager einem Freund, der das Glück hatte Theresienstadt zu überleben. Aus dessen Nachlaß kam der Kaiser von Atlantis wie viele Werke der getöteten Komponisten Jahrzehnte später ans Licht. So kam es in Amsterdam 1975 zur posthumen Uraufführung.

    Bittere Zeitkritik

    Daß die Oper im sagenhaften Atlantis spielt, hätte auch die Zeitgenossen nicht vor der raschen Erkenntnis bewahrt, wer mit dem Kaiser wirklich gemeint war. Ullmanns zitiert in seiner Musik nicht nur das Deutschland-Lied sondern auch einen Luther-Choral und das den tschechischen Komponisten jener Ära wohlbekannte »Todesmotiv« aus Josef Suks Symphonie Asrael.

    Die Musik

    Die Qualität von Ullmanns Partitur ist nicht nur angesichts der grausamen Umstände ihrer Entstehung bemerkenswert. Sie faßt die stilistischen Möglichkeiten der Musiktheater-Komposition jener Zeit wie im Brennspiegel zusammen: Es finden sich die Modetänze, die auch von Komponisten wie Weill, Eisler oder Hindemith in ihre dramatischen Werke eingebunden wurden, aber auch freitonale, an die harmonischen Grenzen gehende Klangexperimente wie dissonante Felder in der Arie des Kaisers, Bin ich wahnsinnig?


    Sprechgesang wechselt mit ariosen Momenten und die Ensemblekultur der Buffo-Oper feiert ein Comeback - zu Shimmy-Klängen etwa im Terzett Kaiser, Harlekin, Trommler im Vierten Bild.




    ↑DA CAPO

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