Der junge Lord
Libretto: Ingeborg Bachmann nach Wilhelm Hauff
Uraufführung: 1965, Berlin
Hans Werner Henze über seine bitterböse Komödie, zur der Ingeborg Bachmann ihm frei nach Wilhelm Hauff das Libretto gedichtet hatte:
Auch der Baronin Grünwiesel läßt Sir Edgar im letzten Moment absagen, obwohl sich die Damen der Stadt bereits zum Tee versammelt haben.
Umso schlimmer, daß der reiche Herr dann den Artisten eines Wanderzirkus seine Pforten öffnen läßt. Man beschmiert nächtens die Eingangstür zur Villa mit dem Wort »Schande«
Schreie aus dem Haus von Sir Edgar stören das verbotene Stelldichein des heimlichen Liebespaars Wilhelm und Luise. Sir Edgar läßt erklären, Lord Barrat, sein Neffe, sei aus London gekommen und versuche, die schwere deutsche Sprache zu erlernen. Er werde bei jedem Fehler gezüchtigt... Das macht Eindruck. Vor allem läßt die Botschaft aufhorchen: Der junge Mann solle demnächst bei einem Empfang den Honoratioren der Stadt vorgestellt werden.
Alles wartet gespannt. Die Baronin sieht die Beziehung ihres Mündels Luise mit Wilhelm nicht gern, denn sie hat weiterreichende Pläne: Das Mädchen soll mit dem jungen Lord Barrat verheiratet werden.
Tatsächlich findet der angekündigte Empfang statt. Die Gäste sind charmiert vom exzentrischen Verhalten des jungen Lords, der während scheinbar unkontrollierter Eskapaden Goethe zitiert!
Nur Wilhelm kann in den Chor der Bewunderung nicht einstimmen. Baronin Grünwiesel freilich möchte im Laufe des Abends die Verlobung Luises mit Lord Barrat bekannt geben. Doch während des Tanzes verfällt der junge Lord in wilde Zuckungen, reißt sich schließlich die Kleider vom Leib und entpuppt sich als Adam, der Affe aus dem Zoo des Wanderzirkus, den man als Lord verkleidet und dressiert hat. Die Bürger von Hülsdorf-Gotha bleiben schockiert zurück.
Grundlage für das Libretto des Jungen Lords war Wilhelm Hauffs Erzählung »Der junge Engländer oder: Der Affe als Mensch« aus dem 1826 erschienenen Almanch Der Scheik von Alexandria und seine Sklaven..
Henze schuf eine veritable »Opera buffa« und berichtet von einer Vorstellung von Mozarts Entführung aus dem Serail, die er in Berlin unter Karl Böhms Leitung erlebte, kurz bevor er an die Komposition seines Werks ging: Das kleine Orchester, das Mozart genügte, inspirierte ihn zur Konzentration seiner Mittel. Er wollte auf alle Annehmlichkeiten der modernen Orchestrierungskunst, die Baßklarinette inklusive, verzichten, um zum Kern der musikalischen Aussage vorzudringen.
Tatsächlich finden sich im Jungen Lord formale Elemente der klassischen und barocken Oper, aber auch Kinderlieder, Walzer und Menuette. Das letzte Bild ist - wie die großen Finalszenen bei Monteverdi, als breit angelegte Passacaglia über einem gleichbleibenden Baß angelegt.
Zehn Jahre nach der Entstehung versuchte Henze in einem Brief an einen Regisseur die sozialkritischen Elemente herauszuarbeiten, die er im Gefolge seines politischen Engagements nach 1968 im Jungen Lord bereits aufspüren konnte:
Der wesentliche Gegenstand dieses Stücks ist: die Lüge. Sie wird geboren aus unersättlicher Neugier, betrogenen materiellen Hoffnungen, provinzieller Angeberei und beleidigter Eitelkeit. Sie verbreitet sich als Gerücht (im Zwischenspiel vom 2. zum 3. Bild) und pervertiert und decouvriert die Charaktere und das ihnen zugehörende musikalische Material in zunehmendem Maße. Daraus entspringt die Reaktion des Gegenmilieus (die Welt des Engländers), das mit einem „naturwissenschaftlichen“ Experiment der Lüge und der ihr auf dem Fuß folgenden Aggression entgegenwirkt. Das musikalische Ambiente des Engländers entwickelt sich parallel dazu, es greift um sich (vom 5. Bild an) und arbeitet dem von Hülsdorf-Gotha entgegen, um es schließlich zunichte zu machen. Am Ende, sobald die Fremden die Szene verlassen haben, fällt das Ganze in jene Konventionalität und Kleinkrämerei zurück, mit der die Oper begonnen hatte. Nichts ist hinzugelernt worden, so scheint es, nichts hat sich verändert. Es war nur ein Zwischenfall. Aber nicht ganz.
Die Handlung
In der verarmten deutschen Kleinstadt Hülsdorf-Gotha hat sich der reiche Engländer Sir Edgar angesagt. Man bereitet dem Gast einen pompösen Empfang mit Kapelle und Kinderchor. Doch Sir Edgar läßt durch seinen Sekretär mitteilen, an keinerlei Festlichkeiten interessiert zu sein.Auch der Baronin Grünwiesel läßt Sir Edgar im letzten Moment absagen, obwohl sich die Damen der Stadt bereits zum Tee versammelt haben.
Umso schlimmer, daß der reiche Herr dann den Artisten eines Wanderzirkus seine Pforten öffnen läßt. Man beschmiert nächtens die Eingangstür zur Villa mit dem Wort »Schande«
Schreie aus dem Haus von Sir Edgar stören das verbotene Stelldichein des heimlichen Liebespaars Wilhelm und Luise. Sir Edgar läßt erklären, Lord Barrat, sein Neffe, sei aus London gekommen und versuche, die schwere deutsche Sprache zu erlernen. Er werde bei jedem Fehler gezüchtigt... Das macht Eindruck. Vor allem läßt die Botschaft aufhorchen: Der junge Mann solle demnächst bei einem Empfang den Honoratioren der Stadt vorgestellt werden.
Alles wartet gespannt. Die Baronin sieht die Beziehung ihres Mündels Luise mit Wilhelm nicht gern, denn sie hat weiterreichende Pläne: Das Mädchen soll mit dem jungen Lord Barrat verheiratet werden.
Tatsächlich findet der angekündigte Empfang statt. Die Gäste sind charmiert vom exzentrischen Verhalten des jungen Lords, der während scheinbar unkontrollierter Eskapaden Goethe zitiert!
Nur Wilhelm kann in den Chor der Bewunderung nicht einstimmen. Baronin Grünwiesel freilich möchte im Laufe des Abends die Verlobung Luises mit Lord Barrat bekannt geben. Doch während des Tanzes verfällt der junge Lord in wilde Zuckungen, reißt sich schließlich die Kleider vom Leib und entpuppt sich als Adam, der Affe aus dem Zoo des Wanderzirkus, den man als Lord verkleidet und dressiert hat. Die Bürger von Hülsdorf-Gotha bleiben schockiert zurück.
Text und Musik
»Der junge Lord« war das letzte Bühnenwerk des Autoren-Duos Henze / Bachmann. Bereits 1952 hatte die Dichterin für den Komponisten eine Textvorlage für ein »Mimodram« nach Dostojewskys Der Idiot geschrieben, 1958 entstand die Opern-Bearbeitung von Heinrich von Kleists Prinz von Homburg.Grundlage für das Libretto des Jungen Lords war Wilhelm Hauffs Erzählung »Der junge Engländer oder: Der Affe als Mensch« aus dem 1826 erschienenen Almanch Der Scheik von Alexandria und seine Sklaven..
Henze schuf eine veritable »Opera buffa« und berichtet von einer Vorstellung von Mozarts Entführung aus dem Serail, die er in Berlin unter Karl Böhms Leitung erlebte, kurz bevor er an die Komposition seines Werks ging: Das kleine Orchester, das Mozart genügte, inspirierte ihn zur Konzentration seiner Mittel. Er wollte auf alle Annehmlichkeiten der modernen Orchestrierungskunst, die Baßklarinette inklusive, verzichten, um zum Kern der musikalischen Aussage vorzudringen.
Tatsächlich finden sich im Jungen Lord formale Elemente der klassischen und barocken Oper, aber auch Kinderlieder, Walzer und Menuette. Das letzte Bild ist - wie die großen Finalszenen bei Monteverdi, als breit angelegte Passacaglia über einem gleichbleibenden Baß angelegt.
Zehn Jahre nach der Entstehung versuchte Henze in einem Brief an einen Regisseur die sozialkritischen Elemente herauszuarbeiten, die er im Gefolge seines politischen Engagements nach 1968 im Jungen Lord bereits aufspüren konnte:
Man muß sich die Bürger von Hülsdorf-Gotha nicht vorstellen als wohlhabende Spießer. Sie sind magere, etwas fröstelnde, ärmliche (verarmte oder noch nicht wohlhabende, je nachdem) Leute. Sie haben etwas leiblichen Hunger, z. B. nach Abwechslung, aber auch nach etwas, was ihnen nicht ganz klar ist, es ist fast das romantische Sehnen jener Zeit, es wird ihnen offenbar in dem sich ihnen in Gestalt und in der Welt Sir Edgars präsentiertem Gegenmilieu.
...
Die Hülsdorf-Gothaschen Szenen muß man derb und rustikal spielen, aber sehr, und die Sir Edgarschen elegant und seidig. (Ein drittes Element, die Musik für Luise und Wilhelm, vom 1. und im Duette des 4. Bildes, muß tragisch sein und schmerzvoll.)
...
Alles scharf, schlicht, nicht launig. Dieses Biedermeier hat Hunger, Flöhe, Tbc, auch bei der Baronin gibt es nur ein trockenes Keks und eine halbe Tasse dünnen Tee.
Aufnahme
Die von Christoph von Dohnányi musikalisch präzis einstudierte Berliner Uraufführungsproduktion Gustav Rudolf Sellners wurde von DG auf Schallplatten und CD veröffentlicht, von Unitel fürs Fernsehen aufgezeichnet und später auch auf DVD herausgebracht.