Boulevard Solitude

Libretto: Grete Weil nach Abbé Prévost
Uraufführung: 1952, Hannover

Auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Uraufführung kann Hans Werner Henzes Bühnenerstling aktuell wirken: »Boulevard Solitude« thematisiert die Einsamkeit der Jugend in den Straßenschluchten der Großstädte. 25 Jahre jung war der Komponist, als er Grete Weils Textbuch vertonte, das sehr frei mit Abbé Prevosts »Histoire du chevalier des Grieux et de Manon Lescaut« umgeht, einer Novelle, die bereits Auber, Massenet und Puccini zu Vertonungen gereizt hatte.

Von den beiden bis heute viel gespielten Varianten Puccinis und Massenets war Henze Anno 1952 weniger weit entfernt als man vielleict meinen möchte. Lyrische, behutsam gewobene Duette, fein gesponnen, fragile Seelenbilder zart besaiteter, doch in ihrer Orientierungslosigkeit brutal agierender Jugendlicher kennt er wie Massenet, ein bißchen weniger einschmeichelnd in Dur- und Molldreiklänge gehüllt, aber doch in milde, vielfach changierende Orchesterfarben getaucht.

Die Musik pendelt vom fragilen Zwölftongewebe zum plakativen Nachtclub-Sound und zurück, mixt die Klangebenen effektvoll und gönnt den Protagonisten auch hübsch gedrechselte Bravour-Arien. Manon darf vom koketten Koloratur-Gezwitscher bis zum lyrischen Belcanto-Ton alle erdenklichen Zwischentöne mobilisieren.

Doch ist die Partitur bewußt brüchig gehalten, durchlässiger für Störungen und Widerborstigkeiten gehalten: So operngerecht Manon und ihr armer Student Armand auch kuscheln dürfen, die Welt stört ihre Idylle auch musikalisch immer wieder gröblich.

Die Handlung

Erstes Bild

Frankreich, eine Großstadt. Mitte des 20. Jahrhunderts.

Der Student Armand Des Grieux begegnet in einer Bahnhofshalle dem Geschwisterpaar Lescaut. Manon soll von ihrem Bruder in ein Mädchenpensionat gebracht werden. Armand verliebt sich in Manon und kann sie überreden, mit ihm nach Paris zu gehen. Bruder Lescaut läßt es geschehen.


Zweites Bild

Das Pärchen lebt gücklich, aber recht ärmlich in einer Mansardenwohnung. Armands Vater verweigert seinem Sohn jegliche finanzielle Unterstützung. Die Aussicht, auf Dauer von den spärlichen Zuwendungen von Armands Freund Francis leben zu müssen, schafft den Nährboden für die Pläne von Manons Bruder: Er verkuppelt seine Schwester mit dem reichen Lilaque le Père.


Drittes Bild

Aus ihrem luxuriösen Boudoir schreibt Manon zärtliche Briefe an Armand. Bruder Lescaut ist enttäuscht, daß die Schwester nicht an Lilaques Barschaft herankommen kann. Er beschließt, den Tresor aufzubrechen, wird aber von Lilaque auf frischer Tat ertappt. DAs Geschwisterpaar muß fliehen.


Viertes Bild

Im Dialog mit Freund Francis in der Universitätsbibliothek erfährt Armand von der Kriminalgeschichte. Doch als Manon erscheint, bezaubert sie ihren Geliebten aufs neue.


Fünftes Bild

Die Beziehung Armands und Manons hat ihre Frische verloren. Armand verfällt dem Kokain, während Lescaut die Schwester erneut an einen Liebhaber vermittelt: Diesmal ist es Lilaque le Fils, der Sohn des früheren »Mäzens«. Und schon flattert Armand wieder ein Briefchen zu: Manon erwartet ihn, sobald Lilaque le Fils am kommenden Morgen verreist sein wird.


Sechstes Bild

Armand und Manon genießen die Zeit im üppig dekorierten Schlafzimmer Lilaques. Doch als Armand ein wertvolles modernes Bild aus dem Rahmen schneidet, um es zu Geld zu machen, schaltet sich einer der Bediensteten ein und informiert den Vater Hausherrn. Als Lilaque le Père erscheint, wird er von Manon mit einem Revolver, den der Bruder ihr zugesteckt hatte, erschossen. Während die beiden jungen Männer fliehen können, wird Manon verhaftet.


Siebentes Bild

An einem öden, kalten Wintertag wartet Armand vor dem Gefängnis auf den Zug der Gefangenen, die in eine andere Haftanstalt verbracht werden sollen. Doch als Manon erscheint, würdigt sie ihn keines Blicks.



→ Premiere in Graz, 2005


↑DA CAPO