Fritz Kreisler

1875 - 1962

Fritz Kreisler, geborener Wiener, war einer der bedeutendsten Violinvirtuosen seiner Zeit. Den ersten Geigenunterricht hatter er von seinem Vager Samuel Kreisler erhalten, der im Familienverband gern Streichquartett spielte - und von seinem Sohn bald abgelöst wurde. Die allwöchentlichen Privataufführungen waren für den kleinen Fritz Offenbarungen. Ein Familienmitglied erinnerte sich später:

An den Samstagen vermochte ihn freilich nichts von des Vaters Quartett fernzuhalten. Da stand der dann, die dunkelbraunen Augen auf die Spielenden gehefftet; sein volles schwarzes Haar geriet oft in Unordnung, weil er es sich - aufgewühlt von der Musik - in der Erregung arg zerzauste.

Bei diesen Gelegenheiten waren im übrigen häufig zwei prominente Freunde von Samuel Kreisler anwesend, der Chirurg und Brahms-Vertraute Theodor Billroth und Sigmund Freud. Aufgeführt wurden bei diesen Gelegenheiten nicht nur Werke der Klassik und Romantik, sondern auch Arrangements von Operetten oder Theater-Couplets - eine Mixtur, die für Kreisler prägend bleiben sollte. Noch in Analysen seiner Virtuosenkunst in der Reifezeit schwang die Frage mit, ob ein Künstler, der sich »auf so seichtem Grund musikalisch zu Hause fühlt, ein adäquater Interpret Bachs, Mozarts und Beethoven sein« könne. (J. W. Hartnack)

Die technische Gewandtheit Kreislers stand nie in Frage. Schon im väterlichen Salon nicht: Als er fünf Jahre alt war, übernahm Fritz hie und da bereits als Primgeiger die Führung des kleinen Privat-Ensembles.

Mit sieben Jahren war er bereits Schüler am Konservatorium, studierte unter anderem Joseph Hellmesberger d. J., danach bei Massart in Paris. Bevor seine internationale Karriere so richtig in Gang kam, studierte Kreisler auch noch Medizin und absolvierte den Militärdienst. Nicht zuletzt, weil Arnold Rosé zu verhindern wußte, daß Kreisler eine Konzertmeisterstelle bei den Wiener Philharmonikern erhielt.

Der Einsatz an der russischen Front, 1914, hätte für Kreislers das Ende der Karriere bedeuten können: Bei einem Kosakenüberfall wurde er schwer verwundet und als »Kiegsveteran« nach Wien zurücktransportiert. Die Erfahrungen als Soldat legte er in einem Buch Vier Wochen im Schützengraben - die Kriegsgeschichte eines Geigers nieder. Seine langsam vor allem in den USA anlaufende Virtuosenkarriere wurde durch den Kriegseintritt der Amerikaner empfindlich gebremst, die den Österreicher ab diesem Zeitpunkt als »Feind« qualifizierten.

Als Geiger behielt Kreisler bei aller Virtuosität stets seinen wienerischen Charme und pflegte Portamento und (ein ganz spezielles, vom Unterarm mitgetragenes) Vibrato mit Raffinesse. Kadenzen zu klassischen und romantischen Violinkonzerten schrieb er stets selbst - war er doch auch ein exzellenter Komponist. Allerdings versuchte er eine Zeitlang, die Autorschaft seine Stücke zu verschleiern, indem er behauptete, Stücke alter Meister auf Dachböden oder in Archiven aufgestöbert zu haben.

Der Schwindel flog bald auf. Kreislers beste Kompositionen wurden zu Schlagern.

Broadway und Wiener Operette

1919 konnte Fritz Kreisler als einer der Komponisten der Operette Apple Blossoms Einzug am Broadway halten. Die New Yorker Musical-Meile bediente sich dann etlicher seiner Werke, die in Broadway-Shows integriert wurden. 1944 hatte sein ausschließlich von ihm selbst komponiertes Musical Rhapsody Premiere.

Da war seine Erfolgs-Operette Sissy über das Leben der jungen Kaiserin Elisabeth von Österreich bereits zwölf Jahre alt. Das Singspiel basierte auf Ernst Décseys und Gustav Holms Boulevardkomödie Sissys Brautfahrt, die von den Brüdern Ernst und Hubert Marischka zur musikalischen Komödie arrangiert wurde. Sissy erlebte in dieser Form mit Kreislers Musik 1932 ihre Premiere im Theater an der Wien. Die junge Paula Wessely spielte die Titelrolle, Hans Jaray den Kaiser, Hubert Marschika den Herzog Max. Fritz Kreisler selbst dirigierte die Premiere - und erklärte im Zeitungsinterview der staunenden Öffentlichkeit, er hätte aus diesem Grund Konzerte in Amerika absagen müssen und verzichte damit auf 50.000 Dollar Gage.

Sissy als Operette Das Stück paraphrasiert die wahre Geschichte von der Verlobung Kaiser Franz Josephs mit der bayrischen Prinzessin Elisabeth, verbrämt sie aber operettenhaft mit rührseligen Episoden. Tatsächlich war ja die Schwester Elisabeths, Helene, genannt Nené die auserwählte Kandidatin. Doch der Kaiser verliebte sich in die jüngere Sissy. In der Operette ist das für Nené kein Problem. Im Gegenteil. Sie hat sich ohnehin in den Prinzen Thurn und Taxis verliebt und ist unglücklich darüber, zur künftigen Kaiserin ausersehen zu sein.

So kann das Spiel munter seinen Lauf nehmen, kein Seelenhärchen wird gekrümmt. Die nötige Verwirrung der Gefühle tritt nur ein, weil Franz Joseph Sissy für eine Schneiderin hält, die unerlaubt im Garten der Villa in Ischl Blumen pflückt. Der Irrtum läßt sich aufklären, Nené bekommt ihren Prinzen, Wien eine Traumhochzeit - und in der einen oder anderen Episode darf sich der Vater der Mädchen, Herzog Max, ebenso leutselig wie trinkfest als volksnaher Mann präsentieren.

Sissy erlebte 288 Reprisen im Theater an der Wien.

Krieg um die Titelpartie

Ab März 1933 war Rose Stradner vom Volkstheater in der Titelpartie zu sehen. Doch wurde der Schauspielerin von Intendant Marischka bald eröffnete, sie werde nun von Hedy Lamarr - damals noch Hedy Kiesler - ersetzt. Eine spektakuläre Rochade, nicht nur weil Lamarr ihren ersten Auftritt - unter dem Jubel des Publikums zu einigen Takten der Kaiserhymne hoch zu Pferd absolvierte. Sie wurde als Sissy wegen ihrer Auslands-Engagements rasch durch Hilde Schulz abgelöst.

Thema in der Wiener Gerüchteküche war auch, daß Paula Wessely während der Premieren-Serie bei einigen hohen Tönen von Kreislers Musiknummern von einer Sopranistin hinter der Szene gedoubelt werden mußte.

Die Weltpolitik spielte bald in die Sissy-Geschichte herein. Dank des Erfolgs der Operette war eine amerikanische Erstaufführung in deutscher Sprache geplant. Das lehnte Fritz Kreisler mit Verweis auf die Machtübernahme Hitlers in Deutschland strikt ab. Er fürchtete, das US-Publikum würde eine Theateraufführung in der Sprache der Nationalsozialisten ablehnen.

Notiz in der Wiener Allgemeinen Zeitung, Mai 1933

Von der Opertte zum Film

Das Erfolgsrezept dieser Operette wurde zur Grundlage für die Film-Trilogie Sissi mit Romy Schneider, die wiederum von Ernst Marischka geschrieben und inszeniert wurde - und alle Kassenrekorde brach.

Die Musik zur Operette kompilierte Fritz Kreisler aus seinen früheren Erfolgs-Stücken, darunter Kleiner Wiener Marsch, Schön Rosmarin und Caprice viennoise. Auch Liebesleid und Liebesfreud durften natürlich nicht fehlen. Eigens für Sissy komponiert hat Kreisler die Schlager Ein stilles Glück und Ich wär' so gern einmal verliebt.


Stücke wie Liebesleid und Liebesfreud faszinierten auch Komponisten-Kollegen wie Sergej Rachmaninow, der als Pianist gern Kreislers Kammermusikpartner war, mit ihm Sonaten von Beethoven, Grieg und Schubert für Schallplatten aufnahm - und von Liebesleid und Liebesfreud brillante Klavier-Paraphrasen anfertigte, die er als Zugabenstücke liebte und gern im Konzert spielte.

Streichquartett

Ganz ernsthaft gab sich Fritz Kreisler bei der Komposition seines viersätzigen Streichquartetts, das ein Meisterwerk der Gattung in spätromantischem Stil ist und die glänzende Satztechnik des Komponisten verrät.
  • 1. Fantasia
  • 2. Scherzo. Allegro vivo, con spirito
  • 3. Einleitung und Romanze. Andante con moto
  • 4. Finale. Allegro molto moderato
  • Kreisler komponierte sein Streichquartett in a-Moll zur gleichen Zeit wie die Operette Apple Blossoms, die ein Jahr lang en suite auf dem Spielplan des New Yorker Globe-Theatre stand. Kammermusik klassischen Zuschnitts war für den Komponisten Kreisler die nötige Balance zu jenen Gefilden der Unterhaltungsmusik, mit der er so erfolgreich war.

    Das Quartett suggeriert durch die Titel des ersten und dritten Satzes eine gewisse Distanzierung von der klassischen Formstrenge. Tatsächlich ist das Werk nicht wegen formaler Prozesse interessant - Reprisen bringen das musikalische Material meist ohne große Veränderungen zurück; im Finale sorgen Zitate aus den vorangegangenen Sätzen für den Zusammenhalt des Ganzen.

    Aber die Klangwirkungen und harmonischen Überraschungen, die Kreisler nutzt, weisen ihn als Zeitgenossen von Debussy und Ravel aus. Immer wieder wird die Dur-Moll-Harmonik mit Quarten-Akkorden und Ganztonfolgen apart aufgebrochen, ohne freilich je die Anziehungskraft eines Grundtons in Frage zu stellen. Entsprechende Kadenzwirkungen hat Kreisler allerdings oft raffiniert verschleiert: Bemerkenswert etwa die kurze Einleitung, die er der Romanze voranstellt: Sie bringt absteigende Akkordparallelen, die frei im tonalen Raum zu schweben scheinen und erst nach einigen Takten (scheinbar) klar nach E-Dur führen, um diese Tonart allerdings sofort wieder zu verlassen. Erst nach etwas mehr als einer Minute beginnt dann die Romanze - in Es-Dur!

    Diese Romanze beginnt im Ton der Kreislerschen Unterhaltungs-Stücke, um ebenfalls sofort wieder aus dem erwarteten Duktus auszubrechen: Die Melodie weitet sich metrisch und harmonisch zu unregelmäßigen Phrasen, ausschweifend in ihrer ausdrucksvollen, immer wieder von überraschenden Wendungen geprägten Gesanglichkeit. Tonal nutzt Kreisler virtuos das Spannungsverhältnis der - nur in den letzten Takten wirklich gefestigten - Tonart Es-Dur und dem - im Quintenzirkel am weitesten entfernten - Grundton des Quartett, A.

    Vergleichbar trickreich spielt in jener Komponistengeneration sonst nur noch Korngold mit dem Potential der Unterhaltungsmusik seiner Zeit - und mit den Erwartungen der Hörer.

    Auch im Finale weicht der kecke Polka-Ton (B-Dur) bald einer leidenschadftlich sich aufbäumenden c-Moll-Passage, die wenig später - einfach, mit zartem Ausdruck - in einer Dur-Variante vorgestellt wird, um bald wieder melancholische Färbung anzunehmen.
    Zitate aus den vorangegangenen Sätzen führen den Polkarhythmus behutsam aufs richtige Gleis: Erst die Coda des vierten Satzes bringt wie eine ferne Erinnerung das Werk in A-Dur, pianissimo, mit dem Hauptthema des ersten Satzes zum Abschluß.


    ↑DA CAPO