IGOR STRAWINSKY 

Symphonie in drei Sätzen

  • Overture; Allegro
  • Andante - Zwischenspiel: L'istesso tempo
  • Con moto
  • Nicht ganz untypisch für Strawinsky, aber doch bemerkenswert ist das Puzzlespiel der Entstehung des ersten Satzes seiner vierten und letzten Symphonie. Uraufgeführt als Symphonie in drei Sätzen, New York 1946, meinte der Komponist später einmal, die Bezeichnung Drei symphonische Sätze wäre angemessener gewesen.

    Der Komponist Alexander Tansman berichtet, Strawinsky habe ihm Ausschnitte aus dem ersten Satz 1942 vorgespielt und gemeint, es würde aus diesem Material ein symphonisches Werk, vielleicht ein Konzert für Orchester mit konzertantem Klavierpart entstehen - etwa vergleichbar mit dem ursprünglichen Konzept für das Ballett Petruschka.

    Die ersten Takte, die Strawinsky notierte, stehen heute am Schluß der »Exposition« des ersten Satzes. Er fügte danach das »Seitenthema« hinzu, das heute unmittelbar vor der zuerst komponierten Episode steht. Im Skizzenbuch finden sich nach diesen beiden Fragmenten aus dem ersten Satz Entwürfe für den Anfang des Finales. Erst danach kam der Symphonie-Beginn an die Reihe.
    Den Mittelteil des ersten Satzes bezeichnete Strawinsky als Reaktion auf Filmberichte von der chinesischen Kriegstaktik der »verbrannten Erde«. Die Klänge seien eine Reihe von musikalischen Dialogen zu Filmsequenzen mit »schaufelnden und grabenden chinesischen Arbeitern«.


    »Das Lied von Bernadette«

    Der Mittelsatz der Symphonie in drei Sätzen verdankt seine Entstehung einem Filmprojekt Franz Werfels, der anläßlich seiner Flucht aus Europa gelobt hatte, den Roman Das Lied von Bernadette zu schreiben - und im amerikanischen Exil versuchte, dieses Sujet auch zu verfilmen. Strawinsky sollte nach dem Willen Werfels die Musik dazu schreiben und entwarf tatsächlich eine Musik-Squenz mit dem Titel Die Erscheinung der Jungfrau. Als sch das Filmprojekt zerschlug fügte er diese Musik als zweiten Satz in seine Symphonie ein.


    Tönende Zeitgeschichte

    Die Tatsache, daß im ersten Satz das Klavier, im zweiten die Harfe solistische Funktion übernehmen, führte zu einer Kombination beider Solo-Instrumente im Finale, das programmatisch auf die Zeitgeschichte und auf einen Auftrag der New York Philharmonic Society bezug nimmt, die bei Strawinsky eine »Siegessymphonie« bestellte.

    Tatsächlich beschrieb der Komponist den Beginn des Finalsatzes als eine sehr persönliche Reaktion auf Wochenschau-Berichte vom europäischen Kiregsgeschehen. Die Musik reflektiert die Bilder

    ... von im Gänsemarsch stampfenden Soldaten. Der eckige Marschtakt, die Blechbläser-Instrumentation, das groteske Crescendo der Tuba - das alles verbindet sich für mich mit jenen abstoßenden Bildern.

    Auch die Erinnerung an die Mißhandlung eines befreundeten Photographen durch die Nationalsozialisten sei in diese, seine Kriegs-Symphonie eingeflossen, kommentierte der Komponist.

    Eine Fuge als «Kriegsbericht«

    Die zentrale Episode des Final-Satzes ist eine Fuge, die - wiederum programmatisch - die historische Wende im Kriegsgeschehen widerspiegelt: die verhältnismäßig ungelenken Klänge am Fugen-Beginn (Posaune, Klavier, Harfe) charakterisieren nach Strawinskys Schilderung »die übertriebene Arroganz der Deutschen angesichts des Zusammenbruchs ihrer Kriegsmaschinerie« im Winter 1943 in Stalingrad, auf den das »Erstarken der Alliierten« und im Ausklang der Symphonie zu den schon am Satz-Anfang eingeführten lateinamerikanischen Rhythmen der »Überschwang angesichts des Triumphs« folgen.

    Strawinsky hat einmal erzählt, daß er das Geschehen des zweiten Weltkriegs mit Landkarten genau mitverfolgte und sich die Frontverläufe akribisch einzeichnete.

    Die letzten Takte seiner Symphonie schrieb er zur Zeit der Kapitulation Japans.



    ↑DA CAPO