Also sprach Zarathustra

Richard Strauss (1896)

Nur etwas mehr als ein Jahrzehnt nach Veröffentlichung von Friedrich Nietzsches philosophisch-poetischem Hauptwerk wurde Zarathustra zum Titelhelden einer symphonischen Dichtung: Richard Strauss besang nach Don Juan und Till Eulenspiegel nun Nietzsches Vision vom Übermenschen; und er schuf dazu Musik von explosivem Charakter, lebhaft-euphorisch, überschäumend, delirant -- zweifellos sollte das keine »vertonte Philosophie« sein, sondern Ausdruck des modernen Lebensgefühls; Musik der Belle Époque, des wilhelminischen Zeitalters mit seinem Zukunfts- und Fortschrittsglauben.

Die in einem großen Satz angelegte Struktur gliedert sich in folgende, nach einzelnen Kapiteln von Nietzsches Werk benannte Abschnitte:
*Introduktion. Sehr breit.
* Von den Hinterweltlern
* Von der großen Sehnsucht
* Von den Freuden und Leidenschaften
* Das Grablied
* Von der Wissenschaft
* Der Genesende
* Das Tanzlied
* Das Nachtwandlerlied
Was die Orchestrierungskunst anlangt, ist Richard Strauss hier auf dem Höhepunkt seines Könnens. Ein riesig besetztes Ensemble fächert er nach allen Regel der Kunst auf, findet raffinierte neue Farbmischungen und bringt in den affirmativen Momenten das Orchester zum Leuchten, wie es nie zuvor geleuchtet hat.

Als Kontrastwirkung zu den ekstatischen Teilen kommen karikaturhafte Elemente hinzu, vor allem die staubtrockene, gelehrte »Fuge« zur Charakterisierung der »Wissenschaften«, in der Strauss ein Thema verarbeitet, das (ein Vierteljahrhundert vor Schönbergs Erfindung der Dodekaphonie, aber nach dem Vorbild von Franz Liszts Faust-Symphonie) alle zwölf Töne der Skala enthält.

Harmonisch lebt der Zarathustra von der gleich zu Beginn aufgebauten Spannung zwischen den Tonarten C-Dur und H-Dur.
Der Sonnenaufgang zu Beginn verblüfft durch den jähen Aufeinanderprall von C-Dur und c-Moll.
Die Kluft zwischen den danach vorherrschenden Toniken C und H wird bis zum Schluß des Werks nicht aufgelöst: Die entschwebenden H-Dur-Akkorde im höchsten Register werden von Kontrabaß-Pizzicati auf C konterkariert. Das Spiel bleibt offen.

Legendäre Aufnahmen

Bis heute ist Also sprach Zarathustra daher ein Lieblingsstück von Dirigenten geblieben, die demonstrieren möchten, zu welcher Virtuosität sie das Spiel ihres Orchesters steigern können.

Mißbraucht hat freilich auch die Filmmusik die Partitur. Den Beginn mit der strahlenden musikalischen Emanation des Sonnenaufgangs kennt seit der Verwendung in Stanley Kubricks Odyssee im Weltraum die ganze Welt. Ob das etwas zur Verbreitung des Ruhms von Richard Strauss beigetragen hat, bleibe dahingestellt. Herbert von Karajan, dessen Aufnahme man für den Filmsoundtrack verwendet hat, wurde vorab nicht einmal informiert  . . .

Karajan hat das Werk dreimal im Studio aufgenommen, einmal mit den Wiener Philharmonikern (Decca) in einer etwas unfertig wirkenden, wie nebenher produzierten Version, und zweimal mit seinen Berliner Philharmonikern, wobei das Digital-Remake von 1983 der makellosen Einspielung aus den Siebzigerjahren deutlich unterlegen ist.

Letztere wurde legendär, gilt bei vielen Kennern als unersetzlich und ist auch klangtechnisch eine Meisterleistung des DG-Aufnahmeteams.

Dennoch lassen sich mindestens zwei Aufnahmen aus dem Katalog nennen, die es mit Karajans mittlerem Zarathustra aufnemen können.
Da ist einmal die erste der beiden Stereo-Aufnahmen von Fritz Reiner mit Chicago Symphony für die Living Stereo Serie der RCA, ein atemberaubendes Orchester-Tableau voll glänzender Effekte.

Und da ist die Aufnahme der Berliner Philharmoniker vom Ende der Fünfzigerjahre aus der Frühzeit der Stereophonie - da stand Karl Böhm am Pult von Karajans Orchester; und diese Deutung der Partitur ist dank der Strauss-Kompetenz des Dirigenten eine Wonne vom ersten bis zum letzten Ton - vor allem schwebt hier der hinreißende Walzer des Tanzlieds wie nirgendwo anders einem Himmel zu, der nirgendwo zu enden scheint.

↑DA CAPO