Till Eulenspiegel op. 28

Richard Strauss (1895)

Nach dem postwagnerianischen Erstversuch mit Guntram suchte Richard Strauss im Herbst 1893 nach einem neuen Opernstoff. Er meinte in dem alten Volksmärchen vom »Till Eulenspiegel« einen geeigneten Titelhelden für eine tiefgründige Komödie gefunden zu haben und setzte ihn in ins Szenarium eines weiteren Volksmärchens: »Die Schildbürger«.

Von der Konfrontation des spöttisch-überlegenen, freien Individuums mit den in ihren Vorurteilen erstarrten Philistern versprach er sich dramatischen (und weltanschaulichen) Zündstoff.

Der große Strauss-Forscher Kurt Wilhelm hat sich mit des Komponisten eigenen Textenwürfen zur »Eulenspiegel«-Oper eingehend beschäftigt und konstatierte eine allzu ehrgeizige Überfrachtung mit philosophisch-psychologisierenden Betrachtungen - aber auch eine dramaturgisch trotz der eingefügten Liebesgeschichte zwischen Hanne und einem jungen Ratsherrn allzu verworren und spröd.

Die Rückwendung des Komponisten zum Konzertpodium und der bewährten Form der symphonischen Dichtung ermöglichte ihm freilich einen völlig unverkrampften Umgang it dem Vorwurf - und zeitigte eines der buntesten, brillantesten Werke, das bei aller Detailverliebtheit in der Schilderung der »lustigen Streiche« doch auch von zwingender formaler Geschlossenheit ist und Strauss' virtuose Komositionstechnik unter Beweis stellt, die ein vielgestaltiges Werk auf lediglich zwei kurze musikalische Grundmotive bezieht.

Es ist mir unmöglich, ein Programm zu Eulenspiegel zu geben: in Worte gekleidet, was ich mir bei den einzelnen Teilen gedacht habe würde sich oft verflucht komisch ausnehmen und Anstoß erregen

Also schrieb Richard Strauss an den Uraufführungsdirigenten Franz Wüllner vor er Kölner Premiere im November 1895.
Für einen 1896 publizierten »Musikführer« durch sein Werk hat Strauss dann aber doch Anmerkungen zu den illustrativen Details seiner Tondichtung gemacht, die auch für den unvorbereiteten Hörer ziemlich genau zu verorten sind:

  • Es war einmal ein Schalksnarr
  • namens »Till Eulenspiegel«
  • Der war ein arger Kobold.
  • Auf zu neuen Streichen.
  • Wartet nur, ihr Duckmäuser.
  • Hop! zu Pferde mitten durch die Marktweiber.
  • Mit Siebenmeilenstiefeln kneift er aus.
  • In einem Mausloch versteckt.
  • Als Pastor verkleidet trieft er von Salbung und Moral.
  • Doch aus der großen Zehe guckt der Schelm hervor.
  • Faßt ihn ob des Spottes mit der Religion doch ein heimliches Grauen vor dem Ende.
  • Till als Kavalier zarte Höflichkeiten mit schönen Mädchen tauschend
  • Er wirbt um sie.
  • Ein feiner Korb ist auch ein Korb.
  • Schwört Rache zu nehmen an der ganzen Menschheit.
  • Philistermotiv
  • Nachdem er den Philistern ein paar ungeheuerliche Thesen aufgestellt, überläßt er die Verblüfften ihrem Schicksal
  • Grimasse von weitem.
  • Till's Gassenhauer.
  • Das Gericht.
  • Er pfeift gleichgültig vor sich hin!
  • Hinauf auf die Leiter! Da baumelt er, die Luft geht ihm aus, eine letzte Zuckung till's Sterbliches hat geendet.


  • Daß die Schlußtakte für die »Unsterblichkeit« der Märchengestalt Till Eulenspiegel stehen, mußte Strauss nicht eigens betonen. Diese Schlußpointe seiner Tondichtung hat wohl von Anfang an jeder Hörer verstanden.

    Was dem unbefangenen Hörer ob der meisterlichen detailreichen illustrativen Schilderungen und der brillanten Orchestrierung in der Regel entgeht, ist die von Beethoven und Liszt herrührende, minutiöse motivische Arbeit, die buchstäblich jedes musikalische Element aus einem der beiden »Till Eulenspiegel«-Themen herleitet. Die Variations- und Verwandlungstechnik ist von staunenerregender Fantasie und handwerklicher Meisterschaft. So werden oft extreme Gegensätze aus ein und demselben Material formuliert.
  • Thema I wird gleich zu Beginn von den Geigen exponiert.
  • Thema II erscheint quasi als »Hauptthema« in dem berühmten, äußerst heiklen Hornsolo - dem schon allein auf Grund seiner irregulären Rhythmisierung der sprichwörtliche Schalk im Nacken zu sitzen scheint.

  • Das berühmte Grimassen-Motiv, das so frech wie frischfröhlich von der D-Klarinette eingeführt wird, ist bereits eine der originellen Varianten von Thema I und mündet in den berüchtigten grellen Bläser-Akkord, der sich bei näherer Betrachtung als Wagners Tristan-Akkord herausstellt, nur daß Strauss ihn zum Zwecke der Karikatur nutzt und im Verlauf seiner Tondichtung mit etlichen möglichen »Auflösungen« diese symbolbefrachteten Dissonanz spielt.

    Mit großer Wahrscheinlichkeit war diese »Blasphemie« der Grund dafür, daß der alte Anton Bruckner dem jungen Richard Strauss nach einer Aufführung des Till scherzhaft-strafend mit dem Zeigefinger gedroht hat. Obwohl auch Bruckner gewußt haben dürfte, daß Strauss glühender Wagnerianer war.

    ↑DA CAPO