Ein Heldenleben op. 40
Richard Strauss (1898)
Mit seinen zuvor vollendeten Tondichtungen hatte sich Richard Strauss in die vorderste Reihe der deutschen musikalischen Moderne katapultiert, viel bewundert, ebenso heftig gescholten. Nun schreib er seine tönende Selbstbiographie - oder besser: seine symphonische Visitenkarte: Das bis dahin längste Werk, das er für den Konzertsaal komponiert hatte, dauerte etwa so lang wie eine Aufführung von Beethovens Eroica. Nur, daß der Held, der gefeiert wurde, kein namenloser Heros war, sondern der Komponist selbst.
Zum erstenmal, aber beileibe nicht zum letztenmal stellte sich Richard Strauss selbst in den Mittelpunkt. Er fand sich und seinen künstlerischen Werdegang, wie er bekannte, mindestens so interessant wie Napoleon oder Alexander den Großen.
Dieses Selbstverständnis goß, nicht ohne einen Funken Selbstironie, in Töne
Ein Heldenlaben ist so etwas wie eine Symphonie in einem großen Satz, in den die Elemente der viersätzigen Symphonie, wenn auch durch die programmatische Idee verwandelt, Eingang gefunden haben.
Die einzelnen Teile der Tondichtung:
- Der Held
- Des Helden Widersacher
- Des Helden Gefährtin
- Des Helden Walstatt
- Des Helden Friedenswerke
- Des Helden Weltflucht und Vollendung
Die ersten Abschnitte fungieren als
»Exposition«
in dem riesigen, über 40 Minuten gespannten Sonatensatz. Der Held, das ist in breitem melodischen Es-Dur-Strom der Komponist höchstpersönlich.
die Widersacher sind seine Kritiker, allen voran ein gewisser Doktor Döring, dessen Namen auf dem Höhepunkt des karikativen Rezensenten-Gekeifes die beiden Tuben in parallelen Quinten deklamieren.
Die dritte Themengruppe präsentiert Strauss in einem veritablen Violinkonzert, das eines der schwierigsten Orchestersoli enthält, die je einem Konzertmeister zugemutet wurden: Richard Strauss' Ehefrau Pauline, die Hugo von Hofmannsthal später ohne Häme als »bizarr, dabei gutmütig« charakterisiert hat, läßt dabei alle Facetten ihres streitlustigen Charakters spielen - doch mündet die große Primadonnenszene nach einigen vergeblichen Versuchen des »Helden«, sich Gehör zu verschaffen, in eine leidenschaftlich aufblühende Liebesszene - die im formalen Verlauf der Tondichtung das
Adagio (Ges-Dur)bildet.
Fanfaren blasen zum Kampf. Die
Durchführungdes riesigen symphonischen Satzes wird zur Walstatt. Der Held scheint zunächst im Kampf gegen die Übermacht der Kritiker zu unterliegen, eine orchestrale Materialschlacht ohnegleichen wird entfesselt, aus der zuletzt doch das Es-Dur-Thema des Komponisten als Sieger hervorgeht: Mit dem Wiedererreichen der Tonika setzt die
Reprise
ein. Der Held kann nach errungener Freiheit seine Friedenswerke schaffen. Hier webt Strauss Themen aus früheren Kompositionen ein, manche bis heute leicht erkennbar, etwa die Schelmengeste des Till Eulenspiegel, der sich in ein Motiv aus dem Don Juan einschleicht, lyrische Zitate aus dem Don Quixote oder Tod und Verklärung, Liedern wie Traum durch die Dämmerung, aber auch, nur für geeichte Strauss-Kenner zu identifizieren, aus der Tondichtung Macbeth und dem Opern-Erstling Guntram.
Doch auch das herrlichst gewebte Tongespinst kann die Kritiker nicht zum verstummen bringen. »Doktor Döring« und seine Spießgesellen melden sich wieder, kleinlauter als zuerst, aber doch deutlich vernehmbar.
Das zieht einen Wutausbruch des Helden nach sich - danach aber die Resignation.
Coda
Des Helden Weltflucht und Vollendung sollte ursprünglich in einen stillen Schluß münden wie zuvor Zarathustra und der Don Quixote. Doch auf Anraten seiner Freunde schuf Strauss knapp vor der Uraufführung die hymnisch sich auftürmenden Schluß-Takte, in denen er seinem »Helden« doch einen gewaltigen Grabstein setzt. Richard Strauss aere perennius . . .
Ein Heldenleben ist ein Werk, mit dem sich Herbert von Karajan Zeit seines Lebens identifiziert hat. Bald nach seiner Inthronisation als Nachfolger Wilhelm Furtwänglers nahm er es ins Programm seiner philharmonischen Konzerte in Berlin auf - und widmete ihm eine der ersten Schallplatten-Produktionen im Rahmen seines Exklusivvertrags mit der Deutschen Grammophongesellschaft. Die Einspielung von 1959 hat bis heute Kultstatus und wurde in ihrer Wucht bei gleichzeitiger vollständiger Transparenz des Stimmengewebes auch von Karajan selbst kaum übertroffen.
Lediglich die besinnlichen Passagen in Des Helden Friedenswerken gelangen in seinen letzten Lebensjahren berührend innig, als wäre dem Künstler erst im Alter ein Licht über die wahre Bedeutung dieser Musik aufgegangen: Diese Passage ist in der Digitalaufnahme aus den späten Achtzigerjahren von magischer Ruhe und Schönheit.