Klavierkonzert Nr. 2
Sergej Rachmaninow (1900/01)
Das Zweite Klavierkonzert ist ein Werk des Durchbruchs, der Selbstreinigung. Nach dem Mißerfolg seiner Ersten Symphonie war der Komponist in tiefe Depression verfallen, von der ihn der Psychologe Nikolaus Dahl durch Hypnose-Sitzungen befreite. »Du wirst komponieren. Du wirst mit Leichtigkeit komponieren. Du wirst erfolgreich sein«, lautete das Mantra.
Tatsächlich ging Rachmaninow der Kompositionsprozeß vergleichsweise leicht von der Hand. Der Mittelsatz und das Finale des c-Moll-Konzerts waren als erste fertiggestellt und wurden gesondert uraufgeführt. Die Premiere am 2. Dezember 1900 mit dem Komponisten am Flügel und Alexander Siloti am Dirigentenpult wurde zum Sensationserfolg. Der Bann war gebrochen. Die Kritik lobte die klare Formgebung und den melodischen Reichtum des Werks.Das Konzert war seit der Erfindung des Tonfilms ein Lieblingsstück der Filmmusik-Komponisten, nicht erst seit sich Marilyn Monroe zu diesen Klängen verführen ließ (Da verflixte siebente Jahr). Schon in Edmund Gouldings Menschen im Hotel mit Greta Garbo und Joan Crawford erklingen Fragmente aus Rachmaninows Konzert. Auch danach ist es immer wieder verwendet worden, etwa in Charles Vidors Symphonie des Herzens mit Elizabeth Taylor (1954, ein Jahr vor dem verflixten siebenten Jahr) und zuletzt in Claude Lelouches Partir revenir (1985).
Zur großen Popularität des Mittelsatzes trugen die Memoiren des Tenors José Carreras bei, der bekannte, während der Heilungsphase nach seiner schweren Leukämie-Erkrankung nicht zuletzt durch das nahezu pausenlose Hören dieser Musik Kraft geschöpft zu haben.
Der Songwriter Eric Carmen hatte schon zehn Jahre zuvor die Melodie dieses Satzes zu einem beliebten Schlager verarbeitet: All by Myself (1975).
Wie Tschaikowskys Sechste Symphonie, die sogenannte Pathétique beginnt Rachmaninows beliebtestes Klavierkonzert nicht in der Haupttonart, sondern in der Subdominante: Das Klavier intoniert schwere Glockenklänge in f-Moll und führt das Geschehen in einer achttaktigen Kadenz nach c-Moll: Das breite, unisono von den beiden Violingruppen und Bratschen vorgetragene Hauptthema strömt über den zerlegten Begleitakkorden des Klaviers und den tragenden Pizzicati der Celli und Bässe, die Celli übernehmen dann die Fortführung des melodischen Verlaufs, ehe sie mit den hohen Streichern unisono die große Melodie abrunden - ein gigantischer Bogen von insgesamt 45 bruchlos fließenden Takten.
Improvisatorisch, fast spielerisch mutet das folgende »Scherzando« des Klaviers an, es ballt sich aber vor nur angedeutetem orchestralen Hintergrund zu einer kurzen Replik der kraftvollen Eingangskadenz und führt zum Seitenthema: in Es-Dur führt der Solist den eben angeschlagenen, improvisatorischen Ton weiter, dehnt die melodische Entwicklung zu unregelmäßigen, balladesken Taktgruppen.
Aus den hier exponierten Motiven entwickelt sich später die Melodik des berühmt gewordenen Adagio-Satzes!
Über die Jahrzehnte hin ist diese Musik sozusagen naturgemäß der vollständigen Verkitschung ausgesetzt gewesen. Heilsam ist es, die Aufnahmen anzuhören, die Rachmaninow selbst von seinen Klavierkonzerten gemacht hat. Auch das Zweite spielt er quasi ohne Fett, klar strukturiert mit erstaunlicher klanglicher Auflichtung kontrapunktischer Details, die diese Musik - wohl zum Erstaunen von Romantik-Skeptikern - in reichem Maße enthält. Man muß das gehört haben, nicht nur, um zu wissen, was in einem solchen Werk steckt, sondern um beurteilen zu können, was »romantischer Klavierstil« in Wahrheit gewesen ist - das Gegenteil von jener Klangsauce, die bei fortwährend getretenem rechten Pedal seit langem in den Konzertsälen - und Aufnahmestudios - über die musikalische Substanz gegossen wird.