Die »Reformationssymphonie«
Felix Mendelssohn-Bartholdy
Die sogenannte Reformationssymphonie firmiert in Felix Mendelssohn-Bartholdys Werkkatalog als Symphonie Nr. 5 als wäre sie die letzte fertiggestellte Symphonie des Komponisten. Tatsächlich war sie - abgesehene von den jugendlichen »Streichersymphonien« - seine zweite, wurde vom Komponisten aber letztendlich nicht anerkannt und kam erst posthum - als fünfte und letzte der großen Symphonien - in Druck. Mendelssohn selbst distanzierte sich in einem Brief an seinen Freund Julius Rietz von der Komposition und meinte, es wäre besser, sie zu verbrennen.
Gespielt wurde das Werk unter Mendelssohns Leitung nur ein einziges Mal, im November 1832 in Berlin. Der Erfolg war keineswegs berauschend. Frühere Versuche, die Symphonie aufführen zu lassen, scheiterten sämtlich. Die Zeiten waren unruhig, vor allem in den Jahren um die Feierlichkeiten zum 300-Jahr-Jubiläum des »Augsburger Bekenntnisses«, zu dessen Zelebration die Symphonie komponiert wurde, weshalb im ersten Satz das sogenannte Dresdner Amen zitiert wird (das später auch Richard Wagner in seinem Parsifal verwenden solte) und Luthers Choral Ein Feste Burg ist unser Gott das Hauptthema des Finales bildet. Gerade dieses Thema entwickelt Mendelssoh in einem beeindruckenden Crescendo aus den verklingenden Schlußtakten des schlichten Andante-Gesangs des dritten Satzes: Ein Flötensolo (Andante con moto stimmt den Choral an, der sich in der Folge schrittweise steigert und zu machtvoller Größe anwächst. Die aufgebaute Spannung entlädt sich in einem stürmischen Allegro vivace, dessen kämperische Stimmung zuletzt in einem erlösenden Allegro maestoso aufgeht.
Schon der erste Satz der Symphonie gehorcht dem Schema: Feierliche Introduktion, kämpferisches Allegro - wobei hier die Tonart von D-Dur nach d-Moll wechselt, das angesichts der dramatisch sich aufbäumenden Allegro-con-fuoco-Stürme in der Literatur allgemein als Grundtonart der Symphonie firmiert, obwohl Mendelssohn selbst von einer »Symphonie in D-Dur« sprach.
Das Werk ist eines von zahlreichen Dokumenten für Mendelssohns religiöses Bekanntnis: Der Enkelsohn des großen jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn war erst 1816 getauft worden - Auch seine folgende Symphonie, nach Beethovens Vorbild mit Chor und Solostimmen, Lobgesang, gedruckt als Zweite Symphonie - nimmt sich eines geistlichen Themas an.
Aufnahmen
Die Balance zu halten, fällt Dirigenten bei dieser Symphonie oft schwer, auch weil die Mittelsätze gegenüber den heftig bewegten Außenteilen der Symphonie allzu leichtgewichtig scheinen können - und Mendelssohn den Interpreten allerhand zu rätseln aufgibt, was die Temporelationen betrifft: Die autographen Metronomangaben für das abschließende Allegro maestoso sind erstaunlich rasch.Glühend dramatisch aufgeputschte Wiedergaben gelangen Arturo Toscanini und (spontaner, daher auch weniger präzis) Dimitri Mitropoulos. Eine inspirierte, leidenschaftlich durchpulste, aber nicht überbordende, also stilistisch klug disponierte Aufführung gelang Rafael Kubelik Anfang der Sechzigerjahre mit dem Kölner Rundfunksymphonieorchester. Die Aufnahme ist in einer Edition von WDR-Aufnahmen auf CD veröffentlicht worden. (orfeo)
Ein Klassiker im Katalog blieb seit der Veröffentlichung 1961 Lorin Maazels jugendlich stürmische Darstellung des Werks mit den leuchtkräftig aufspielenden Berliner Philharmonikern (DG).