La clemenza di Tito

Wolfgang A. Mozart

Jean-Pierre Ponnelles kongeniale Verfilmung


Libretto: Caterino Mazzolà nach Pietro Metastasio

1791

Titus Vespasianus (Tenor) – Vitellia, Tochter des Imperators Vitellius (Sopran) – Servilia, Schwester des Sextus, Geliebte des Annius (Sopran) – Sextus, Freund des Titus, Geliebter der Vitellia (Sopran) – Annius, Freund des Sextus, Geliebter der Servilia (Sopran) – Publius, Präfekt (Baß)

Vitellia, die Tochter des ermordeten Kaisers Vitellius, schmiedet Rachepläne. Um auf den Thron zu gelangen, wollte sie den regierenden Kaiser, Titus, heiraten. Doch der Kaiser liebt Berenice, die Prinzessin von Judäa, und will sie zur Frau nehmen.

Vitellia versucht, Sextus für ihren Racheakt zu gewinnen. Er ist ein Freund des Kaisers. Doch ist er auch in Vitellia verliebt. Als diese ihn in ihre Pläne einweiht, gerät er in einen Gewissenskonflikt. Nun berichtet Annius, daß Titus aus Gründen der Staatsräson seiner Liebe zu Berenice entsagt hat. Er kann die Ausländerin nicht heiraten.

Vitellia schöpft wieder Hoffnung. Doch stiftet auch die nächste Ankündigung des Titus Unfrieden. Denn die neue Auserwählte ist keineswegs Vitellia, sondern Servilia, die Schwester des Sextus. Diese ist aber dem Annius zugetan und versichert ihn ihrer unverbrüchlichen Liebe. Daß ihr Herz nicht mehr frei ist, gesteht sie auch dem Kaiser, der großmütig auch auf sie verzichtet und nun doch Vitellia erwählt.

Diese hat jedoch nichtsahnend inzwischen den Sextus gedungen, das Kapitol in Brand zu setzen und Titus zu ermorden. Hilflos der Schönheit der Angebeteten verfallen, willigt Sextus in das mörderische Komplott ein. Als Vitellia vom Sinneswandel des Titus erfährt, steht das Kapitol bereits in Flammen.

Nur zögert Sextus noch, den Mord auszuführen Während das Volk glaubt, der Kaiser sei in den Flammen umgekommen, verrät ein Verschwörer Sextus. Publius verhaftet ihn.

Der Senat hält über ihn Gericht und verurteilt ihn zum Tod in der Raubtierarena. Doch Titus beschließt, von Annius bestürmt, seinen zum Brandstifter und Verräter gewordenen Freund noch einmal anzuhören. Sextus bekennt, nennt jedoch nicht den wahren Grund seiner Handlungen.

Vitellia, von Gewissensbissen geplagt, gesteht ihre Schuld. Der Kaiser verzeiht allen. Das Volk besingt seine Güte.

HINTERGRÜNDE

Wiederholt wurde von einem „Rückfall“ gesprochen: Die Form der Opera seria, der „Titus“ verpflichtet ist, schien mit „Idomeneo“ überwunden. Mozart selbst hatte nicht zuletzt mit seinen Da-Ponte-Opern eine neue Sprache gefunden und damit das Korsett der aus dem Barock überkommenen Gattungen gesprengt.

Und nun eine Seria als Huldigungsoper zur Krönung Leopolds II. zum König von Böhmen in Prag? Die böhmischen Stände haben „La clemenza di Tito“ als Würdigung der aufgeklärten Politik des neuen Herrschers ausdrücklich bestellt. Man kannte das Libretto Metastasios, das in Arrangements in den habsburgischen Erblanden immer wieder komponiert worden war.

Caldara schuf 1734 einen „Titus“ für den Wiener Hof, Hasse, Gluck, Jomelli und Scarlatti hatten das Buch in Musik gesetzt.

Was freilich am 6. September 1791 im Altstädtischen Theater von Prag über die Bühne geht, ist alles andere denn eine Wiederaufnahme altgewohnter Praktiken.

Una vera opera

„Zu einer wahren Oper umgearbeitet“, vermerkt Mozart selbst in seinem handschriftlichen Werkverzeichnis über das Textbuch, das Caterino Mazzolà aus Metastasios Vorlage erarbeitet hat. Aus der starren Abfolge von Rezitativen und Arien wird auf diese Weise ein durchaus modernes Musikdrama, in dem die handelnden Personen auch in Ensemblesätzen, Duetten und Terzetten sowie zwei großen Finalszenen interagieren und miteinander konfrontiert werden.

Mozart muß beim Komponieren also keineswegs auf die zuletzt errungene Meisterschaft in der psychologischen Durchzeichnung von Handlung und Personen verzichten.

Was rein äußerlich wie ein Rückgriff auf überwundene Schemata aussehen mag, ist in seiner endgültigen Klanggestalt ein fesselndes Drama.

Schon das einleitende Duett zwischen Sextus und Vitellia überwältigt durch seine explosive Stimmung, die deutlich macht, welche Emotionen in den Figuren schlummern, von den Umständen unterdrückt, doch für die Intrige fruchtbar. Welch ein Wandel des Ausdrucks, wenn in der folgenden Arie Vitellia den ihr verfallenen Sextus mit Liebesversprechungen umgarnt: Da zieht eine Frau alle Register ihrer Verführungskunst – Drohgebärden sind ihrem eiskalten Stil neben schmeichelnden Gesten stets immanent.

Was dem „Titus“ schadet, ist aber die Tatsache, daß Mozart in der wenigen Zeit, die ihm für die Komposition der Oper zur Verfügung steht, nur die orchesterbegleiteten Teile des Werks zu Papier bringen kann. Die Rezitative überläßt er seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr, der die Aufgabe mit Geschmack und Können, aber nicht mit der von Mozart zu erwartenden Genialität zu lösen vermag.

Doch in den Arien und Ensemblesätzen finden wir den reifen Mozart des „Don Giovanni“ und auch den der zur gleichen Zeit vollendeten „Zauberflöte“, deren oft volksliednaher Ton hie und da durchschlägt, nicht zuletzt in den der Servilia zugedachten Nummern. Die Schlichtheit ist freilich in Wahrheit raffiniertes, durch (oft von Interpreten übergangene) dynamische Nuancen noch differenzierteres Ausdrucksmittel, das die Spannweite der musikalischen Expression zwischen Naivität und furiosem Haß (Vitellia) enorm erweitert und zur Vielfalt und dem Farbenreichtum der Partitur beiträgt.

Die im „Idomeneo“ hie und da geradezu rüde und ins Bizarre aufgeputschte Darstellungswut ist im „Titus“ vielleicht formal gebändigter, doch keineswegs aufgehoben.

Die meisterliche Klangregie bindet auch die dunkel leuchtenden Farben des Bassetthorns mit ein, das konzertierend Arien des Sextus und der Vitellia begleitet. Aus dem Terzett (Nr. 10), in dem Vitellia erfährt, daß Titus sie zur Braut gewählt hat, spricht der Meister des vielschichtigen Quartetts aus dem „Don Giovanni“. Hier findet sich nicht Elvira, sondern Vitellia in atemloser, ja zerrütteter Situation. Die Violinen beschreiben ihre Seelenlage mit handgreiflichen Gebärden: Diese Frau weiß, welche Tragödie sie mit ihrem Intrigenspiel ausgelöst hat. Und daß sie jetzt kein Mittel mehr in der Hand hat, sie abzuwenden.

Barocke Formenwelt, wie sie die Opera seria suggeriert, beschwört Mozart im „Titus“ nur ein einziges Mal, in jenem Chor am Beginn des zweiten Finales, in dem das Volk die Gottähnlichkeit des Kaisers besingt.

Im übrigen herrscht jene Beweglichkeit, jene virtuose Beredtheit der Seelenmalerei, die auch die Vorgängeropern seit dem „Idomeneo“ auszeichnet. Unmittelbar nach dem barocken Huldigungschor erklingt im folgenden Accompagnato-Rezitativ die kraftvollste Musik, die sich denken läßt: Der Kaiser erhebt sich, als er von Vitellia die ganze Wahrheit erfährt, im Bewußtsein seiner Macht zu voller Größe – daß in diesem Moment auch die Vernichtung das Los seiner Gegner sein könnte, wird in Mozarts Klangsprache unmittelbar deutlich.

Meist überhört wird die irritierend neue Musik, die in den letzten Takten der „Clemenza di Tito“ anklingt, wahrhaft unerhörte Töne, die mit an Beethovens „Fidelio“ gemahnender Intensität weit in romantische Gefühlstiefen hinausweisen.

↑DA CAPO