Mitridate, Re di Ponto
Wolfgang A. Mozart
Opera seria in 3 Akten
Libretto: Vittorio Amedeo Cigna-Santi nach Racines „Mithridate“ (1673)
Uraufführung: 26. 12. 1770 Mailand, Teatro Regio Ducal.
Mitridate, König von Pontus (Tenor) – Aspasia, seine Verlobte (Sopran) – Sifare, sein Sohn (Sopran) – Farnace, erstgeborener Sohn Mitridates (Mezzosopran) – Ismene, Tochter des Königs der Parther (Sopran) – Marzio, römischer Tribun, Freund des Farnace (Tenor) – Arbate, Statthalter von Ninfea (Sopran)
Man hat die Nachricht vom Tod des Königs Mitridate ausgestreut. Zwischen seinen Söhnen, Sifare und Farnace, entbrennt ein Streit, nicht nur um die Macht, sondern auch um Aspasia, die Verlobte des Vaters, die von beiden geliebt wird, doch bei Sifare Schutz sucht vor dem brutalen Werben Farnaces.
Der von den Römern besiegte König Mitridate kehrt heim. Das Gerücht von seinem Tod hat er in die Welt gesetzt, um die Treue Aspasias, aber auch die seiner Söhne auf die Probe zu stellen.
Statthalter Arbate berichtet ihm von der Ergebenheit Sifares. Farnace hingegen hätte um Aspasia ebenso gebuhlt wie um die Macht. Der Vater befiehlt dem untreuen Sohn, aus Staatsräson die Partherin Ismene zu heiraten.
Farnace macht der ihm zugedachten Braut gegenüber kein Hehl daraus, daß sein Herz einer anderen gehört. Das bringt nicht nur Ismene, die ihn begehrt, gegen den Königssohn auf, sondern auch
den Vater, der eifersüchtig argwöhnt, Aspasia hätte ihn mit Farnace betrogen.
Die Verwirrung der Herzen ist allgemein. Aspasia bekennt verzweifelt Sifare ihre Liebe, doch sehen beide nur einen Ausweg aus ihrem Dilemma: den Verzicht. Währenddessen hat Mitridate entdeckt, daß Farnace mit den feindlichen Römern konspiriert.
In die Enge getrieben, verrät Farnace die wahre Neigung Aspasias – Mitridate verurteilt sie und beide Söhne zum Tod.
Ismene wendet das Schicksal: Sie befreit Sifare, der verhindern kann, daß Aspasia den ihr zugedachten Giftbecher leert.
Die Römer befreien ihren Verbündeten Farnace, der jedoch einsichtig geworden ist und sich zum Vater bekennt.
Der sterbende Mitridate, der sich aus Angst vor dem nahenden Römerheer selbst tödlich verwundet hat, kann seinen Söhnen noch vergeben. Aspasia vertraut er der liebenden Obhut Sifares, dessen Heer die Römer zuletzt zurückschlagen kann.
Hintergründe
Der „Mithridates“-Stoff ist seit dem frühen 18. Jahrhundert von vielen Komponisten vertont worden. Voran von Meistern wie Alessandro Scarlatti, dessen Oper 1707 in Venedig herauskam, Antonio Caldara (1728 in Wien) oder Joseph Haydns Lehrer Nicola Porpora (1733, wieder in Venedig).
Neben den bedeutenden italienischen Häusern waren „Mithridates“-Opern in Berlin, München, Lissabon und London zu sehen.
Für Mozart bildet der so häufig vertonte Stoff Grundlage zu seiner ersten Opera seria, einer Form, mit deren Möglichkeiten sich der Fünfzehnjährige dank der ehrgeizigen Bildungspolitik seines Vaters bereits konsequent auseinandergesetzt hat, als er in Mailand eintrifft, um seinen Auftrag zur Komposition einer Oper für die Karnevalssaison 1771 zu komponieren. Die Faschingsaufführungen gelten seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Höhepunkt der Opernspielzeit. Mailand hat sich seit dem Ende der spanischen Herrschaft zu einer Hochburg des Musiktheaters entwickelt.
Aus den im milanesischen Dialekt gesungenen Intermezzi entwickelt sich die ab 1745 regelmäßig im Frühling gespielte komische Oper, die „Opera buffa“. Zum Karneval spielt man die klassische Opera seria. Vier Werke Christoph Willibald Glucks erleben im Teatro Regio Ducale, eröffnet 1717, ihre Uraufführung. Dominierender Meister des Mailänder Opernlebens ist Sammartini.
Ein Kompositionsauftrag, die sogenannte Scrittura, für die Karnevalspremiere ist ehrenvoll. Daß ein 15jähriger Salzburger sie erhält, wertet man als Sensation. Es mangelt auch nicht an Intrigen, die dem jungen Mann das Leben schwerzumachen versuchen.
Wie damals üblich, schreibt Mozart sein Werk in enger Zusammenarbeit mit den Sängerstars, die für die Premiere engagiert wurden. Es steht fest, wer welche Partie singen wird. Das Publikum kommt in erster Linie, die Primadonna zu hören, den Kastraten, den Tenor. Es ist auch üblich, daß die Sänger eigenmächtig über die musikalische Gestalt der Oper verfügen. Die Eitelkeit, der Stimmfetischismus herrschen absolut. Glaubt der Sänger, seine Koloraturen, seine speziellen technischen Fertigkeiten mit dem vom Komponisten gelieferten Notentext nicht glanzvoll genug präsentieren zu können, nimmt er eigenmächtig Veränderungen vor. Oder tauscht die Arie gegen eine Nummer aus einer ganz anderen Oper aus.
Mozart nimmt sich viel vor. Vor allem will er keinesfalls dulden, daß ein Musikstück eines anderen Komponisten in seinem „Mitridate“ gesungen wird. Für die Primadonna Antonia Bernasconi (sie singt die Rolle der Aspasia) ist er bereit, Arien mehrmals umzuarbeiten. So lange, bis sie all ihre Wünsche befriedigt sieht.
Kapriziöser als die Bernasconi ist hingegen Guglielmo D’Ettore, der Titelheld der Premiere, der etwa so jähzornig zu sein scheint wie die Figur, die er darzustellen hat. Er akzeptiert nur drei der von Mozart komponierten Arien, zwei weitere und das ihm im Verein mit der Bernasconi zugedachte Duett lehnt er ab.
Mozart gibt sich aber auch im Disput mit diesem „primo uomo“ nicht geschlagen, schreibt neue Versionen der beanstandeten Nummern. Fünfmal allein setzt er die Eingangskavatine „Se di lauri il crine adorno“ in Musik, bis der Sänger klein beigibt.
Doch in einem Fall bleibt D’Ettore unbeugsam: Die Arie „Vado incontro al fato estremo“ aus dem dritten Akt will er ausschließlich in der Fassung von Quirino Gasparini singen. Gasparini, 35 Jahre älter als Mozart, ist zwar vorrangig als Meister der Kirchenmusik bekannt, hat aber „Mitridate“ 1767 für Turin komponiert.
In Mailand kennt man seine Version und nutzt sie zum Intrigenspiel gegen den allzujungen Mann aus Salzburg. Der gibt sich zwar im Fall dieser einen Nummer geschlagen, bearbeitet Gasparinis Arie aber gründlich, verwendet nur den ersten Teil und setzt auch diesen nach seinem Gusto neu. So wahren beide, der Sänger und der Komponist, ihr Gesicht – und Mozart darf behaupten, daß entgegen allen Unkenrufen zuletzt so gut wie die gesamte Musik der Mailander Saisoneröffnungspremiere aus seiner Feder stammt.
Sein Selbstbewußtsein ist gepaart mit einem Instinkt für Dramaturgie, der ihn schon in diesem jugendlichen Alter über prominente Zeitgenossen hinaushebt. Mit sicherem Griff streicht Mozart beispielsweise Textpassagen im Libretto, die ihm den Fortgang der Handlung zu hemmen scheinen. Vor allem die Rezitative verkürzt er zum Teil drastisch, setzt den verbleibenden Rest ungewöhnlich häufig unter Verwendung des gesamten Orchesters als Accompagnati in Musik, was ungleich plastischere Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringt und hie und da – wie später etwa auch im „Idomeneo“ – Verschmelzungen von Rezitativen und Arien ermöglicht, womit retardierende Zäsuren vermieden werden.
Überdies ist es faszinierend zu beobachten, wie der Komponist trotz Rücksichtnahme auf die Eitelkeiten der Interpreten in seiner Musik ganz unmißverständlich psychologische Vorgänge mitschwingen läßt – Seelenregungen, die auch den handelnden Personen selbst noch kaum bewußt, aber irritierend fühlbar werden. Gleich die ersten Solonummern der Partitur liefern in dieser Hinsicht Charakterstudien vom Feinsten: Aspasia zunächst, die sich ihre aufkeimende verbotene Liebe zu Sifare kaum einzugestehen wagt, Sifare selbst dann, der seinen Haß auf den vermessenen Bruder zügeln muß: Das Orchester scheint mit seinen ostentativen Wiederholungen förmlich aufzustampfen. Sobald Sifare von der Trauer über die Zurückweisung durch die Geliebte spricht, wechseln Ton und sogar Takt der Musik, um von der Wut auf den Rivalen sogleich wieder in die anfängliche Bewegung zurückgetrieben zu werden.
Derlei subtile Differenzierungskunst hindert nie die Entfaltung der Koloraturgewandtheit. Der Komponist bedient, was er selbst einmal die „geläufigen Gurgeln“ nennt. Nur, daß die Solisten mehr als sonst mit ihrer Virtuosität auch Ausdrucksqualitäten mitzuliefern haben.