Così fan tutte
Wolfgang A. Mozart
Dramma giocoso in zwei Akten Libretto: Lorenzo da Ponte Uraufführung: 26. Jänner 1790, Burgtheater, Wien.
Fiordiligi und Dorabella, Schwestern, aus Ferrara, in Neapel wohnend (Sopran, Mezzosopran) – Guglielmo, Offizier, Liebhaber Fiordiligis (Bariton) – Ferrando, Offizier, Liebhaber Dorabellas (Tenor) – Despina, Kammermädchen der Damen (Sopran) – Don Alfonso, ein alter Philosoph (Baß)
Don Alfonso, ein lebenskluger Mann („Mein Haar ist schon grau, ich spreche aus Erfahrung“), schlägt den Offizieren Ferrando und Guglielmo eine Wette vor: Da sie so begeistert von der Tugendhaftigkeit ihrer Bräute schwärmen, will er ihnen beweisen, daß diese innerhalb kürzester Zeit untreu würden, sobald sich Gelegenheit dazu böte. Die beiden willigen ein, täuschen eine Einberufung ins Feld vor und verkleiden sich nach tränenreichem Abschied als türkische Reisende. Auf diese Weise getarnt, macht nun jeder der Braut des jeweils anderen den Hof. Alfonso und die Zofe Despina fungieren als Spielmacher – und das Unvermeidliche, wie es schon Goethe in seinen „Wahlverwandtschaften“ beschreibt, geschieht: Dorabella, die temperamentvollere der beiden Damen, verfällt dem Werben des Guglielmo, woraufhin Ferrando, der tatsächlich in Liebe zu Fiordiligi entflammt, diese neue Leidenschaft besiegelt und die mit argen Gewissensbissen kämpfende ehemalige Braut seines Freundes verführt. Don Alfonso treibt das Spiel auf die Spitze: Die neuen Paare heiraten. Den Ehevertrag besiegelt die als Notar verkleidete Despina. Doch als die Trompeten zum Finale des Spiels blasen – die demaskierten Offiziere zurückkehren –, müssen die Damen ihre Untreue bekennen.Hintergründe
Das fröhliche Finale, in dem das Werk nach Auszahlung des ausbedungenen Preisgelds an Don Alfonso endet, verschleiert nur notdürftig, was an Verwirrung unauslöschlich in den Seelen der vier jungen Menschen eingebrannt bleiben muß. Vielleicht erreicht Mozart in der Vertonung dieses bösen Intrigenspiels die höchste Meisterschaft seiner Charakterisierungskunst.Die im Prinzip banale, dem Maskenspiel der Commedia dell’arte angelehnte Handlung dient ihm vor allem als Grundlage zu intensiver musikalischer Seelenbespiegelung. Die Grenze zwischen ehrlicher Empfindung und Zynismus ist dabei oft nur schmal.
Das E-Dur-Terzett, das Don Alfonso und die beiden Damen den eben entschwundenen Offizieren auf die Reise nachsenden, ist ein zauberischer Moment von entrückter Selbstvergessenheit, bevor das böse Intrigenspiel seinen Lauf nimmt. Wenige Augenblicke zuvor hat der „vecchio filosofo“ Alfonso noch hämisch gelacht, während Fiordiligi und Dorabella schluchzend von ihren Geliebten Abschied nahmen.
Wie so oft vereint Mozart hier disparate Stimmungen in einem einheitlich verdichteten Klanggemälde. Fulminante Gegensätze prägen die ersten Arien der beiden Damen: Dorabella reagiert auf das Verlassensein mit einer vulkanösen Anrufung der Rachegöttinnen, von keuchenden, abgerissenen Figuren der Violinen angestachelt. Die erste große Arie übrigens in dem bisher von Ensembles beherrschten Werk. Fiordiligi wiederum pariert das erste Erscheinen der türkischen Verführer mit der aus dem Figurenrepertoire der Opera seria entlehnten Gleichnisarie über den „Felsen in der Brandung“.
Guglielmos Selbstsicherheit und Jovialität offenbart sich in zwei spielerischen G-Dur-Arien, schlägt jedoch im Finale in Bitterkeit um. Hatte er sich noch kurz zuvor als überlegener Sieger gefühlt, weil seine Braut ihm die Treue hielt, aber auch Dorabella seinem Liebeswerben erlegen war, quittiert er Fiordiligis Verbindung mit Ferrando schließlich mit Verzweiflung.
Er als einziger stimmt nicht in den kanonischen Vermählungsgesang ein, sondern wünscht, der Wein auf der Hochzeitstafel möge vergiftet sein.
Mozart setzt hier sozusagen das symmetrische Gegenstück zum Tränen-Quintett des ersten Akts, zu dem Don Alfonso, unhörbar für die anderen, seine Kommentare abgibt. Faszinierend entwickelt sich vor den Augen und Ohren des Publikums das Schicksal des Ferrando.
Von der zart schwebenden Liebeserklärung der „Aura amorosa“ in der klassischen Liebestonart A-Dur führt ihn der Weg zur leidenschaftlich bewegten B-Dur-Arie, in der sich Freude über die vermeintliche Treue der Frauen mit Wehmut mischt.
Der junge Mann erkennt, daß er längst Fiordiligi liebt. Die Wette mit Don Alfonso entlarvt also nicht nur die Frauen. Statt „Così fan tutte“ müßte es „Così fan tutti“ heißen. Zuletzt, nach der verzweifelten c-Moll-Kavatine im Gefolge von Guglielmos Bericht über Dorabellas Untreue, führt der Zwiespalt in Ferrandos Herzen zum beängstigend tiefschürfenden Duett mit Fiordiligi. Es beginnt im A-Dur der „Aura amorosa“ mit der nämlichen Figur in der Orchestereinleitung (!) und führt über mehrere Stufen zur Entfaltung der zuvor uneingestandenen Liebe: Ekstatischer als mit den Koloraturen, mit denen Fiordiligis und Ferrandos Gefühle außer Rand und Band zu geraten scheinen, hat Mozart keine Liebesszene komponiert.
Distanziert freche Akzente setzt demgegenüber die Zofe Despina mit zwei aufmüpfigen Arien, vor allem aber mit etlichen quirligen Nebenbemerkungen samt kleinen klassenkämpferischen Sticheleien. Don Alfonso singt als einziger keine große Arie, bleibt als Drahtzieher doch unentwegt präsent. Sein kurzes Arioso, mit dem er die Damen zu Beginn der Handlung aufrüttelt, ist ein Meisterstück an musikalischer Schauspielerei, beklagt er doch in atemlosem f-Moll das Schicksal der einberufenen Offiziere, das er selbst erfunden hat. Vor dem Finale versammelt er die beiden Verlierer zum ostentativen Terzett: „Così fan tutte“, so machen’s alle, heißt es da. Wir haben es inmitten der rastlos pulsierenden Ouvertüre bereits als Motto vernommen – das hämische Gegenstück zu den Schicksalsschlägen am Beginn des „Don Giovanni“, wenn man so will.
Ein Erfolg kann „Così fan tutte“, ein Werk, dem man später lange Zeit Immoralität unterstellen wird – und obwohl man der Musik, um sie zu „retten“, sogar neue Texte (etwa Shakespeares „Verlorene Liebesmüh“ oder, noch 1909 in Dresden!, Calderóns „Dame Kobold“) unterlegt –, zu Mozarts Lebzeiten nicht werden, weil bald nach der Uraufführung Kaiser Joseph II. stirbt und die Theater schließen müssen. Schon Beethoven äußert sich pikiert über das Libretto, nutzt aber das Vorbild des E-Dur-Rondos der Fiordiligi mit dem großen Hornsolo für die in derselben Tonart stehende große „Leonoren-Arie“ in seinem „Fidelio“.
Die Prüderie der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts verhindert eine Verbreitung des Stücks. Selbst ein Richard Wagner erkennt die dem Stück eigenen Qualitäten nicht.
Erst das Engagement von Dirigenten wie Hermann Levi, Richard Strauss oder Clemens Krauss leitet Anfang des 20. Jahrhunderts eine Wende ein. Hundert Jahre später gilt „Così fan tutte“ als unerreichtes Meisterwerk psychologischer Musiktheaterkunst.