Ascanio in Alba

Wolfgang A. Mozart

Festa teatrale in zwei Teilen
Libretto: Giuseppe Partini
Uraufführung: 17. Oktober 1771 Mailand, Teatro Regio Ducal.

Venus (Sopran) – Ascanius, ihr Sohn (Mezzosopran) – Silvia, Nymphe aus dem Geschlecht des Herkules (Sopran) – Acestes, Priester (Tenor) – Faunus, ein Hirt (Sopran)

Ascanio übernimmt von seiner Mutter Venus die Herrschergewalt über Alba, jene lieblichen Gefilde, in denen Venus einst ihre glücklichen Tage mit Aeneas verbrachte, dem Vater des Ascanio. Silvia, die Braut des Ascanio, soll Prüfungen unterzogen werden. Sie muß ihre Treue und Tugendhaftigkeit unter Beweis stellen. Um sie für ihren Sohn einzunehmen, zaubert Venus das Bild Ascanios in die Träume der Nymphe. Silvia gesteht dem Priester Acestes, den schönen Unbekannten zu lieben, der ihr erschienen sei.

Ascanio, der dieses Gespräch belauscht, weiß nicht, daß diese Liebe ihm gilt. Ein zarter Reigen der Hirten, Grazien und Genien verwandelt die Bäume der arkadischen Landschaft in die Säulen der Stadt Alba, die Ascanio beherrschen wird und deren Entstehung der Priester prophezeit hat.

Silvia erblickt Ascanio unter den Hirten. Faunus versichert der Nymphe, daß dieser junge Mann nicht ihr Bräutigam sein könne. Ascanio, der nach dem Willen seiner Mutter Silvias Liebe prüfen soll, ist untröstlich, den Irrtum nicht aufklären zu dürfen. Der Priester ermahnt Silvia, dem Ratschluß der Göttin zu vertrauen.

Als sie demütig bereit ist, sich in ihr Schicksal zu ergeben, erscheint Venus und offenbart das Geheimnis ihrer Bestimmung: Die geliebte Traumgestalt ist ihr Bräutigam Ascanio.

Hintergründe

»Dieser Bursche wird uns noch alle in den Schatten stellen«, soll Johann Adolf Hasse, einer der führenden Komponisten seiner Zeit, von dem jungen Mozart gesagt haben, der im Falle der Feierlichkeiten um die Hochzeit des Erzherzogs Ferdinand mit Maria Beatrice d’Este sein direkter Konkurrent wird. Auch wenn der Ausspruch nicht authentisch sein dürfte, verrät er viel von der Mischung aus Bewunderung und Neid, die dem jungen Genie entgegenschlagen. Das Publikum wird sein Urteil gnadenlos fällen: Hasse schreibt für die Vermählungsfeiern sein Drama »Ruggiero« – es fällt durch.

Mozart komponiert »Ascanio in Alba« und gewinnt die Zuneigung und den Applaus des Mailänder Auditoriums. Hasse, der umworbene Großmeister der Oper, Wegbegleiter des führenden Musiktheaterdichters Metastasio, mehr als ein halbes Jahrhundert älter als der Herausforderer aus Salzburg, zieht sich nach dem Mailänder Mißerfolg zurück und widmet sich hinfort bis zu seinem Tode – er stirbt, hochbetagt, 1783, nur noch der Kirchenmusik.

Von den Konventionen jener Zeit ist auch der Text zu Mozarts »Serenata« deutlich beeinflußt. Dem Erzherzog wird die tugendhafte Fabel bekannt vorgekommen sein, denn dergleichen erbauliche Lehrstücke prägen die musikalisch-künstlerische Ausbildung der Erzherzöge und Erzherzoginnen am Wiener Hof. Sie stammen vorrangig aus Metastasios Feder.

Die Huldigung an die alles wissende, alles lenkende und urweise Mutterfigur der Venus, jene sogenannte Licenza, mit der »Ascanio in Alba« endet, aus der das gesamte Drama geboren wird und auf die es letztlich wieder zusteuert, ist selbstverständlich als Verbeugung vor Kaiserin Maria Theresia zu verstehen, die mit der Verehelichung ihres Sohnes mit der italienischen Prinzessin einen Grundstein zur habsburgischen Hausmacht in Norditalien legt, die in den folgenden Jahrzehnten durchaus zu unheilvollen Entwicklungen führen wird.

Mozart verfaßt das Auftragswerk in Windeseile, denn der Text erreicht ihn ungebührlich spät, zu einem Zeitpunkt, als die Ouvertüre und das einleitende Ballett der Grazien – die ersten beiden Sätze der üblichen »Sinfonia« (die Mozart mit KV 120 später zur Instrumentalsymphonie ergänzt) – bereits komponiert sind.

Als das Libretto einlangt, nutzt es der Komponist zu geradezu phantastisch ausschweifenden musikalischen Formen. Spätere Kommentatoren werfen ihm Mangel an Straffheit, an formaler Stringenz vor. Gerade darin liegt freilich der Reiz der »Ascanio«Musik, deren Phantastik sich weit über die platt moralisierende Vorlage hinaus zu einem poetischen, subtil differenzierten Drama entwickelt.

In welcher Eile das geschieht, erweist die Geschichte der Ballettmusik, welche die beiden Akte des Dramas miteinander verbindet. Erhalten hat sich davon lediglich eine nicht autographe Baßstimme in der Partitur der Oper. Die Ballettmusik hat Mozart offenkundig getrennt den Mailänder Tanzmeistern ausgehändigt, die am 13. September – also knapp zwei Wochen, nachdem Leopold Mozart den Erhalt des Librettos bestätigt (!) – mit den Proben beginnen.

Auch die Chöre, zu denen mehrheitlich ebenfalls getanzt wird, sind zu jenem Zeitpunkt bereits in Musik gesetzt. »Izt fehlen nur 2 Arien von der serenata hernach bin ich fertig«, schreibt Wolfgang Amadeus am 21. September. Danach wird probiert – sowohl Hasses »Ruggiero« als auch Mozarts Stück. Wobei Mozart in der Kopistenpartitur während der Proben noch zahlreiche endgültige Korrekturen vornimmt, wie stets im direkten Kontakt mit den Sängern und den Orchestermusikern.

Am 15. Oktober zelebriert man im Mailänder Dom die Hochzeit des herzoglichen Paares. Hasses Oper kommt am 16. Oktober zur Uraufführung, Mozarts Serenata einen Abend später. »Mir ist leid«, schreibt Leopold Mozart, »die Serenata des Wofg. Hat die opera von Hasse so niedergeschlagen, daß ich es nicht beschreiben kann.«

Viermal wird »Ascanio« im Rahmen der Hochzeitsfeiern wiederholt. Eine geplante sechste Aufführung muß wegen Erkrankung der Sängerin der Silvia entfallen.

Wie in allen Frühwerken Mozarts bezaubert neben der kühn wuchernden melodischen Erfindung auch die klangliche Experimentierfreudigkeit, die den Komponisten dazu verleitet, eine der Arien des Titelhelden von zwei in der Partitur »Serpenti« genannten Instrumenten begleiten zu lassen, die wohl nichts mit dem Serpent zu tun haben, sondern vermutlich Englischhörner sind, deren Namen in diesem Fall von der eigenwillig geschwungenen Bauweise der damals gebräuchlichen Instrumente herzuleiten ist.

Den betörend schönen Alt-Klang der Englischhörner, den Zeitgenossen – etwa Haydn – zu besonderer Wirkung hie und da einsetzen, nutzt Mozart auch in der »Finta semplice«. Später wird er immer wieder neue Klangfarben – etwa die Bassetthörner – in seine Partituren einbringen, um koloristischen Reichtum zu erzielen, wie er im »Ascanio« vor allem aus dem in herrlich dunkle Farben getauchten Bläsersatz zu erleben ist. Der sinnliche Tonfall späterer »Harmoniemusiken« – etwa der Serenade Ferrandos und Guglielmos im zweiten Akt der »Così fan tutte« – ist da schon zu ahnen.

↑DA CAPO